Die Auswirkungen von Perfektionismus auf die psychische Gesundheit

Perfektionismus ist eine Eigenschaft, die oft bewundert wird. Menschen, die nach Perfektion streben, setzen hohe Maßstäbe, bemühen sich in allen Lebensbereichen exzellent zu sein und erreichen oft besondere Leistungen sowie die Anerkennung anderer. Doch leider hat dieser Erfolg nicht selten auch Schattenseiten, wie erheblichen Stress, der zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen führen kann.

Perfektionismus unter der Lupe

Perfektionismus kann als eine Persönlichkeitseigenschaft oder Denkweise betrachtet werden, bei der eine Person danach strebt einen enorm hohen Standard in verschiedenen Lebensbereichen zu erreichen. Es gibt verschiedene Arten von Perfektionismus, die sich in ihren Ausprägungen unterscheiden:

Selbstorientierter Perfektionismus: Diese Form des Perfektionismus bezieht sich auf für sich selbst unrealistisch hoch gesteckte Ziele und die Erwartung, diese ohne Fehler zu erreichen.

Sozial vorgeschriebener Perfektionismus: Bei dieser Form des Perfektionismus geht es darum, den Erwartungen und Standards anderer zu genügen, positiv wahrgenommen zu werden und für Leistungen anerkannt zu werden.

Fremdorientierter Perfektionismus: Hierbei versuchen Perfektionisten das Verhalten von Menschen in ihrer Umgebung zu optimieren und sind unzufrieden, wenn dieses nicht ihren Vorstellungen entspricht.

Ist der Wunsch nach Perfektion förderlich oder schädlich?

Sowohl als auch! Ein gewisses Maß an Perfektionismus kann dazu motivieren hervorragende Leistungen zu erzielen, übermäßiger Perfektionismus zieht im Gegenzug erheblichen Druck und ein erhöhtes Risiko für psychische sowie psychosomatische Erkrankungen nach sich. Genau diese beiden Pole werden als adaptiver und maladaptiver Perfektionismus bezeichnet:

Adaptiver Perfektionismus bezieht sich auf den positiven Aspekt des Perfektionismus, bei dem Personen zwar hohe Standards setzen, diese jedoch auf eine gesunde und realistische Weise verfolgen. Menschen mit dieser Art von Perfektionismus üben ein gesundes Maß an Selbstkritik aus und sind in der Lage aus ihren Fehlern zu lernen, ohne sich davon entmutigen zu lassen. Adaptiver Perfektionismus kann somit maßgeblich zur Selbstverwirklichung beitragen.

Maladaptiver Perfektionismus hingegen bezieht sich auf den negativen Aspekt des Perfektionismus und kann das Wohlbefinden sowie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Betroffene setzen sich unrealistisch hohe Standards, die kaum zu erreichen sind. Sie neigen dazu sich ständig selbst zu kritisieren, haben ein starkes Bedürfnis nach externer Anerkennung und stehen unter unerträglichem Stress.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Grenze zwischen adaptivem und maladaptivem Perfektionismus nicht immer klar ist. Der Unterschied liegt oft im Ausmaß der Selbstkritik, des Leistungsdrucks und der Auswirkung auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden.

Wie der Wunsch nach Exzellenz die Psyche herausfordert

Bei der Betrachtung von psychischen Erkrankungen wird die Bedeutung der Unterscheidung der beiden Arten von Perfektionismus nochmal deutlich, da gerade der maladaptive Perfektionismus eine zentrale Rolle spielt. Eine der häufigsten Erkrankungen, die mit Perfektionismus assoziiert wird, ist die Zwangsstörung. Perfektionisten neigen dazu, wiederholte Zwangshandlungen auszuführen, um sicherzustellen, dass alles perfekt ist und ihre hohen Leistungsvorstellungen erfüllt werden können. Auch Essstörungen wie Magersucht und Bulimie können mit Perfektionismus in Verbindung stehen. Das ständige Streben nach einem makellosen Körper und strikte Kontrolle über das Essen können zu einer regelrechten Obsession werden. Darüber hinaus kann Perfektionismus auch zu Angststörungen, Depressionen und Burnout führen. Die scharfe Selbstkritik und das Gefühl des Versagens können das Selbstwertgefühl erheblich beeinträchtigen und zu anhaltenden negativen Gedanken sowie Gefühlen führen. Betroffene haben oft Schwierigkeiten sich zu entspannen und loszulassen, da sie das Bedürfnis verspüren stets alles unter Kontrolle haben zu wollen.

Perfektionismus ist selbstverständlich nicht immer die alleinige Ursache für diese Erkrankungen, sondern kann als ein Risikofaktor betrachtet werden. Andere Komponenten wie genetische Veranlagungen, Umweltfaktoren und persönliche Lebensumstände spielen ebenfalls eine Rolle.

Die Verbindung zu psychosomatischen Erkrankungen

Die Tragweite von maladaptivem Perfektionismus wird noch deutlicher, wenn sogar körperliche Symptome im Rahmen von psychosomatischen Störungsbildern auftreten. Perfektionisten, die ständig unter Druck stehen, können beispielsweise Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlafstörungen oder Herzprobleme entwickeln, die auf den psychischen Stress zurückzuführen sind.

Exkurs: Auch wenn das chronische Fatigue-Syndrom und Fibromyalgie (chronisches Schmerzsyndrom) nicht klassisch unter die psychosomatischen Erkrankungen fallen, kann eine hohe Komorbidität mit Perfektionismus beobachtet werden. Gerade im psychotherapeutischen Kontext gilt es Betroffene im Hinblick auf den Umgang mit diesen Erkrankungen zu unterstützen und ihren Anspruch an die gleichzeitige Erbringung von Höchstleistungen zu relativieren.

Wege zur Bewältigung von Maladaptivem Perfektionismus

Perfektionismus ist grundsätzlich nicht nur schlecht, da Betroffene oft wertvolle Eigenschaften wie Ehrgeiz, Zielstrebigkeit und Disziplin besitzen. Wenn das Maß an Perfektionsstreben jedoch zu stark in die maladaptive Richtung ausschlägt und krank macht, gilt es dringend Maßnahmen zu ergreifen. Die Bewältigung des Perfektionismus erfordert dabei bewusste Anstrengung, um gesündere Denkmuster und Verhaltensweisen zu entwickeln. Folgende Schritte können hilfreich sein:

  1. Selbstreflexion: Es ist wichtig sich Zeit zu nehmen, um sich selbst zu beobachten und die Auswirkungen des Perfektionismus auf das eigene Leben zu erkennen. Es gilt die negativen Gedankenmuster und Verhaltensweisen zu identifizieren, die mit dem Streben nach Perfektion einhergehen.
  2. Realistische Ziele setzen: Die gesteckten Ziele sollten erreichbar sein und es sollte erlaubt sein Fehler zu machen. Niemand perfekt ist und Irrtümer sind ein natürlicher Teil des Lernprozesses.
  3. Selbstmitgefühl entwickeln: Nachsichtigkeit ist hier das Stichwort! Es kann helfen sich dabei vorzustellen, wie man einem Freund oder geliebten Menschen begegnen würde, der ähnliche Schwierigkeiten hat und dieselbe Freundlichkeit und Akzeptanz folgend sich selbst gegenüber aufzubringen.
  4. Umgang mit Versagensängsten: Was ist das Schlimmste, was passieren könnte? Die meisten Situationen sind gar nicht so katastrophal, wie zu Beginn befürchtet. Es kann helfen den Fokus auf das Wachstum zu legen, welches aus Herausforderungen und Fehlern resultiert.
  5. Selbstfürsorge: Sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit sollten immer Priorität haben. Es ist wichtig Grenzen zu setzen, um Überlastung zu vermeiden, und Wege zu finden Stress abzubauen. Dabei können regelmäßige Entspannungsübungen, Sport, Hobbys oder soziale Aktivitäten förderlich sein.
  6. Unterstützung suchen: Vertrauenswürdigen Freunde, Familienmitglieder oder Therapeuten können eine große Stütze sein. Gerade professionell geschulte Personen können helfen, die zugrunde liegenden Ursachen des Perfektionismus zu erkennen und gesündere Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Es ist wichtig zu bedenken, dass die Überwindung von Perfektionismus ein fortlaufender Prozess ist, der viel Zeit erfordert. Es gilt geduldig mit sich selbst zu sein und jeden Schritt anzuerkennen, der in die Richtung eines gesünderen Umgangs mit ihm gemacht wird.

Quellenangaben
  • Altstötter-Gleich, Christine & Geisler, Fay: Perfektionismus. Köln, 2017.
  • Limburg, Karina; Watson, Hunna J.; Hagger, Martin S. & Egan, Sarah J.: The relationship between perfectionism and psychopathology: A meta‐analysis. Journal of clinical psychology (2017), Band 73, Heft 10.
  • Macedo, António Ferreira; Marques, Mariana & Pereira, Ana Telma: Perfectionism and psychological distress: A review of the cognitive factors. International Journal of Clinical Neurosciences and Mental Health (2014), Band 1, Heft 6.
  • Spitzer, Nils: Perfektionismus und seine vielfältigen psychischen Folgen: Ein Leitfaden für Psychotherapie und Beratung.  Berlin, 2016.
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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