Der Vagusnerv und seine Rolle bei unserer psychischen Gesundheit

Der menschliche Körper ist ein faszinierendes Netzwerk von Systemen und Organen, die in einem erstaunlichen Zusammenspiel agieren. Einer der Schlüsselakteure in diesem Netzwerk, der oft übersehen wird, ist der Vagusnerv. Dieser wichtige Nerv spielt nicht nur eine entscheidende Rolle in der Regulation unseres Verdauungssystems, sondern hat auch eine tiefgreifende Verbindung zu unserer psychischen Gesundheit.

Der Vagusnerv: Eine Einführung

Der Vagusnerv, auch als zehnter Hirnnerv oder Nervus vagus bekannt, ist einer der längsten Nerven im menschlichen Körper. Er hat eine bedeutsame Funktion bei der Regulation und Kommunikation zwischen dem Gehirn und verschiedenen Organen im Körper, insbesondere im Brust- und Bauchbereich. Grundlegend gehört der Vagusnerv zum parasympathischen Nervensystem, einem Teil des autonomen Nervensystems, das für die Steuerung von Ruhezuständen, Verdauung und Regeneration verantwortlich ist. Der Vagusnerv besitzt zwei Hauptäste:

Der vagale Nervenstrang reguliert die Herzfrequenz und hat Einfluss auf die Atmung. Er spielt eine Rolle bei der Kontrolle von Stressreaktionen und passt die Herzfrequenz an verschiedene Situationen an.

Der viszerale Nervenstrang ist für die Kommunikation zwischen dem Gehirn und den Organen im Bauchraum zuständig, darunter der Magen, die Leber, die Bauchspeicheldrüse und der Darm. Dieser Teil des Nervs ist wichtig für die Verdauungsregulation, die Aufrechterhaltung eines gesunden Stoffwechsels und die Kommunikation zwischen dem Gehirn und dem sogenannten „Bauchgefühl“.

Darüber hinaus spielt der Nervus vagus eine Rolle in der Regulation von Entzündungen und Immunreaktionen. Er kann durch Stimulation oder Aktivierung eine antientzündliche Wirkung haben und so Einfluss auf die allgemeine Gesundheit ausüben.

Die Verbindung zu unseren Emotionen

In den letzten Jahren wurde darüber hinaus eine enge Verbindung zwischen dem zehnten Hirnnerv und der psychischen Gesundheit entdeckt. Menschen mit einer starken Aktivität dieses Nervs neigen dazu Stress effektiver zu bewältigen und eine höhere Resilienz gegenüber belastenden Situationen zu haben. Wenn wir uns sicher und entspannt fühlen, übernimmt der parasympathische Teil unseres Nervensystems die Kontrolle, senkt die Herzfrequenz, fördert die Verdauung und unterstützt die Regeneration. Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen zeigen oft Veränderungen in der Vagusnerv-Aktivität bzw. eine übermäßige Tätigkeit des sympathischen Nervensystems.

Wege zur Stimulierung des Vagusnervs

Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Nervus vagus zu stimulieren und seine Aktivität zu fördern. Folgende Techniken können dazu beitragen die Regulation des autonomen Nervensystems zu verbessern, die Entspannung zu fördern und die psychische Gesundheit zu unterstützen:

Tiefes Atmen: Gezielte Atemübungen wie die „4-7-8-Methode“ (vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden den Atem anhalten, acht Sekunden ausatmen) können den Vagusnerv stimulieren und den parasympathischen Modus fördern.

Entspannungstechniken: Auch Meditation, Achtsamkeitsübungen oder autogenes Training können den Körper in einen entspannten Zustand versetzen und damit den zehnten Hirnnerv aktivieren.

Yoga: Spezielle Yoga Positionen, insbesondere solche, die die Brust öffnen und die Atmung fördern, tragen zu einer besseren Kommunikation zwischen Gehirn und Körper bei.

Lächeln und Lachen: Weiterhin können positive Emotionen, wie Freude oder Zufriedenheit, den Vagusnerv stimulieren. Gerade Lachen kann dazu beitragen Stress abzubauen und die Stimmung zu verbessern.

Soziale Interaktionen: Gespräche mit Freunden oder geliebten Menschen vermitteln Gefühle von Verbundenheit und Zugehörigkeit, welche eng mit der Aktivität des parasympathischen Nervensystems verbunden sind.

Kälteexposition: Zudem können das kurze Aussetzen von kaltem Wasser oder kalter Luft den Vagusnerv stimulieren. Dies kann beispielsweise durch Duschen oder Gesichtstauchen erreicht werden.

Massage: Intensive Berührungen, insbesondere im Nacken- und Halsbereich, stimulieren den Nervus vagus indirekt und tragen auch zur Entspannung bei.

Akupunktur: Einige Studien gaben Hinweise, dass Akupunktur bestimmte Punkte stimuliert, die mit dem Vagusnerv in Verbindung stehen.

Der Vagusnerv ist zweifellos ein bemerkenswerter Teil unseres körperlichen und emotionalen Wohlbefindens. Seine Verbindung zur Psyche unterstreicht die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes für unsere Gesundheit. Indem wir Techniken zur Stimulierung des zehnten Hirnnervs in unseren Alltag integrieren, können wir dazu beitragen unsere emotionale Regulation zu stärken und unsere Resilienz gegenüber den Herausforderungen des Lebens zu verbessern.

Quellenangaben
  • Dana, Deb: Der Vagus-Nerv als innerer Anker: Angst und Panik überwinden, Ruhe und Stärke finden – Übungen zum Aktivieren der Selbstheilungskräfte. München, 2022.
  • Lienhard, Lars et al.: Neuronale Heilung: Mit einfachen Übungen den Vagusnerv aktivieren – gegen Stress, Depressionen, Ängste, Schmerzen und Verdauungsprobleme. München, 2019.
  • Rosenberg, Stanley: Der Selbstheilungsnerv: So bringt der Vagus-Nerv Psyche und Körper ins Gleichgewicht – Mit 8 einfachen Übungen. Hilft bei Migräne, Verdauungsbeschwerden, Tinnitus, Ängsten und Depressionen. Kirchzarten, 2018.
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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