Zwischen Depressionen und Burnout

Ist Burnout nicht ein Synonym für Depressionen? Im ersten Moment mag es so aussehen, als würden Personen in depressiven Phasen an einem Burnout leiden – oder umgekehrt. Gerade Symptome wie Erschöpfung, innere Leere oder physische Schmerzen sind erstmal unspezifisch und können ein Indiz für beide Erkrankungen sein. Doch gerade für den Umgang mit beiden Krankheitsbildern ist es enorm wichtig, die Unterschiede zu kennen.

Anzeichen für eine Depression

Eine Depression zeichnet sich durch niedergeschlagene Stimmung, Interessens- und Freudverlust sowie eine Aktivitätsminderung aus. Neben genannten Leitsymptomen kann sich eine depressive Erkrankung in folgenden weiteren Punkten äußern:

  • Motivation: Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebsverlust
  • Kognition: Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Gefühl von Wertlosigkeit, Schuldgefühle
  • Verhalten: Sozialer Rückzug, Monotones Sprechen, Suizidgedanken- und Absichten
  • Körper: Gewichts- und Appetitveränderung, Schlaflosigkeit, Libidoverlust, Schmerzen

Je nach Anzahl und Intensität der Symptome sowie dem zeitlichen Verlaufsmuster können verschiedene depressive Störungen unterschieden werden. Erst, wenn mindestens zwei der Leitsymptome über einen Zeitraum von zwei Wochen oder länger auftreten, wird von einer depressiven Episode gesprochen. Eine solche Episode kann je nach Ausprägungsgrad der Symptome und deren Vielfalt leicht, mittelgradig oder schwer verlaufen. Ebenfalls kann die Länge einer solchen Episode variieren. Häufen sich solche depressiven Episoden oder dauern länger als zwei Jahre an, wird von einer depressiven Störung gesprochen.

Wichtig: Rund 20% der Deutschen erkranken einmal in ihrem Leben an Depressionen, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Das Risiko für eine weitere depressive Episode liegt bei 50%. (Bundesministerium für Gesundheit, 2022)

Wodurch entsteht eine Depression und was hält sie aufrecht?

Im Gegensatz zu einem gebrochenen Bein beispielsweise kann für eine Depression nicht eine einzige Ursache ausgemacht werden. Vielmehr ist hierbei das Zusammenspiel multipler Faktoren genetischer und/oder psychosozialer Natur entscheidend. Auf neurobiologischer Ebene können Veränderungen auf der Stresshormonachse und ein Ungleichgewicht der Botenstoffe in bestimmten Hirnregionen ursächlich sein. Als akute Auslöser hingegen fungieren unter anderem traumatische Erlebnisse, Verluste und chronische Überlastungen. Die beiden Bereiche – psychosozial und neurobiologisch – schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr.

Der Teufelskreis einer Depression besteht darin, dass Betroffene durch depressive Gedanken, ungünstiges Verhalten sowie einen Mangel an Aktivitäten immer weniger positive Erlebnisse haben und sich ihr ablehnendes Bild von sich selbst und ihrem Umfeld zunehmend verfestigt.

Folgendes Fallbeispiel verdeutlicht diese Faktoren:

Herr M. steht eine wichtige Prüfung bevor. Diese Prüfung löst depressive Gedanken aus: „Das schaffe ich nicht! Diesen Berg aus Lernmaterialen werde ich niemals bewältigen können.“ Aus diesen Gedanken entstehen negative Erwartungen in Bezug auf die Prüfung: „Wenn ich zur Prüfung erscheine, werde ich definitiv durchfallen. Ich werde meinen Abschluss vermutlich nie schaffen“. Das wiederum zieht weitere Selbstabwertungen mit sich: „Ich bin ohnehin wertlos und ein Versager!“. Aus diesem Gedankenkreis folgt nun vielleicht eine Abmeldung von der Prüfung. Durch die Vermeidung der Prüfungssituation entsteht kein Erfolgserlebnis und Hoffnungslosigkeit sowie Traurigkeit verstärken die ohnehin schon depressive Stimmung. Der Rückzug verstärkt womöglich noch das Erleben von Antriebslosigkeit. Durch das Schieben der Prüfung verschiebt sich auch der Abschluss immer weiter nach hinten, was negative Gedanken wie: ,,Ich schaffe das eh nicht“, bestätigen.

An diesem Beispiel wird deutlich, wie sich depressive Symptome eigenständig verschlimmern können, wenn sie nicht behandelt werden.

Dimensionen der Symptome von Burnout

Das Burnout Syndrom äußert sich in drei Beschwerdedimensionen:

Erschöpfung: Der Betroffene hat das Gefühl, emotional und körperlich ausgebrannt zu sein. Emotional zeigt sich dies in Niedergeschlagenheit, Angstgefühlen und innerer Leere. Symptome, die ebenfalls mit Depressionen assoziiert sind. Auf der körperlichen Ebene kommt es beispielsweise zu chronischer Müdigkeit, Schmerzen und Verspannungen.

Entfremdung: Gekennzeichnet durch eine distanzierte, gleichgültige Einstellung gegenüber der Arbeit und anderen Menschen entsteht hier ein sukzessiver Abbau von Anteilnahme, Zielstrebigkeit und sozialen Beziehungen. Nicht selten wird all dies durch Zynismus ersetzt – Freunde werden als Belastung erlebt, Vorgesetzte als Bedrohung und Kollegen als Plage.

Verringerte Leistungsfähigkeit: Der Betroffene erlebt einen Verlust des Vertrauens in seine eigenen Fähigkeiten und nimmt sich als Versager wahr. Für jegliche Aufgaben werden nun mehr Anstrengung und Zeit benötigt. Ebenfalls wird auch die Regenerationszeit immer länger. Ein langes Wochenende oder ein Urlaub reichen plötzlich nicht mehr aus, um neue Energie zu sammeln.

Wichtig: Jeder vierte Bundesbürger gibt an häufig unter Stress zu stehen, die Hälfte davon glaubt sogar von Burnout bedroht zu sein und 6 von 10 Befragten klagen über typische Symptome wie anhaltende Erschöpfung, innere Anspannung und Rückenschmerzen. (Pronova BKK, 2018)

Ausgebrannte Zellen – Wie entwickelt sich ein Burnout?

Genau wie eine Depression, liegt dem Burnout selten eine einzige Ursache zugrunde. Auch hier wird ein Zusammenspiel von genetischen und psychosozialen Faktoren beobachtet. Arbeitslosigkeit, eine Heirat, Geburt des Kindes, chronische Überlastung, Pensionierung oder der Tod einer nahestehenden Person können akute Stressoren darstellen, die unseren Organismus aus dem Gleichgewicht bringen. Doch ein Stressor alleine löst keinen Burnout aus. Erst, wenn eine länger anhaltenden Stressepisode – der chronische Stress – vorliegt, kann es zum Ausbruch der Krankheit kommen. Grundsätzlich kann chronischer Stress dann entstehen, wenn Stressphasen von Betroffenen als anhaltende Belastung empfunden werden, für die zu wenig Ressourcen zur Bewältigung verfügbar sind. Folge dessen ist ein Ungleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung. Neurobiologisch bildet ein hochgefahrenes Stresssystem die Basis des Burnouts. Die Ausschüttung von Stresshormonen wird aktiviert, die der Geschlechtshormone unterdrückt. Im gleichen Zuge produziert der Organismus vermehrt Adrenalin, womit der Körper sich in einem dauerhaften Alarmzustand befindet.

Auch hier lässt sich die Entstehung an einem Fallbeispiel verdeutlichen:

Frau B. arbeitet seit einigen Jahren als verbeamtete Lehrerin an einem Gymnasium. Sie blüht in ihrem Beruf auf und möchte täglich das Beste aus ihren Schülern herausholen. Das hohe Arbeitspensum stemmt sie schon seit Jahren nur knapp und verbringt ihre Feierabende sowie Wochenenden meist erschöpft auf der Couch. Frau B. hat mittlerweile drei erwachsene Töchter und ist zweifache Großmutter. Eines Tages erkrankt ihre älteste Tochter schwer und Frau B. versucht sie im Haushalt und bei regelmäßigen Arztbesuchen sowie auch bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen. Schon vor Arbeitsbeginn bringt sie ihre Enkelkinder zur Schule und nach Feierabend holt sie diese wieder ab und verbringt den Abend mit ihnen. Allmählich beginnt sich Frau B. innerlich leer und vollkommen erschöpft zu fühlen. Die Arbeit mit den Schülern in der Schule kommt ihr bedeutungslos vor und sie beginnt an ihren Fähigkeiten zu zweifeln.

Also ist Burnout keine Depression?

Bei sowohl Depressionen als auch Burnout handelt es sich um eine im Diagnoseklassifikationssystem aufgeführte psychische Erkrankung mit klar definierten Kriterien. Burnout war dort lange nicht als eigenständige Krankheit gelistet und wird auch aktuell lediglich als Folge von chronischem Arbeitsstress aufgeführt. Grundlegend besteht der Unterschied darin, dass Burnout eher als kontextbezogen (z.B. ist die Ursache oft berufsbedingt) und die Depression mehr allumfassend (kann auch kontextfrei diagnostiziert werden) und als alle Alltagsbereiche betreffend, beschrieben wird.

Obwohl sich ein Großteil der Symptome überschneidet, erfüllen die meisten Menschen, die sich ausgebrannt fühlen, nicht die Kriterien einer Depression. Es gibt einige Merkmale, die sehr spezifisch für die eine oder andere Erkrankung stehen. Ständige Gereiztheit spricht beispielsweise eher für einen Burnout, wohingegen ein vermindertes Selbstvertrauen oder Suizidgedanken typischer für eine Depression sind. Zudem sehnen sich Betroffene einer Burnout Erkrankung häufig nach etwas, was sie früher gerne gemacht haben, wobei Menschen mit Depressionen meist keine Lust verspüren, überhaupt etwas zu unternehmen. Somit ist es möglich bei Depressionen eher von einem Dauerzustand zu sprechen, wogegen Patienten mit Burnout meist auch beschwerdefreie Phasen durchleben. Auch in den Anfängen beider Erkrankungen können bereits Unterschiede gefunden werden. Der Start einer Depression geht oft mit schon länger vorherrschenden Selbstzweifeln, Ängsten, Misserfolgen und Enttäuschungen in frühen Beziehungen einher. Menschen, die an einem Burnout erkranken haben zuvor oft ein starkes Selbstbewusstsein, verbunden mit großem Enthusiasmus, Engagement und bedeutsamen Erfolgen. Da eine Depression in der Vergangenheit häufiger stigmatisiert wurde, empfinden viele Betroffene es als anerkannter durch eine Überarbeitung ,,ausgebrannt“ zu sein.

Warum ist die Differenzierung beider Krankheitsbilder bei der Behandlung wichtig?

Trotz der großen Schnittmenge an Symptomen, wird die Wichtigkeit der Unterscheidung beider Erkrankungen im professionellen Umgang mit ihnen deutlich.

Zur Behandlung beider Störungsbilder gehören sowohl die Psychotherapie als auch die Pharmakotherapie. Bei Depressionen zielt die Psychotherapie darauf ab, die zu Beginn genannten dysfunktionalen Bewertungsprozesse zu verändern. Automatische Gedanken werden auf Denkverzerrungen überprüft, mit Verhaltensexperimenten infrage gestellt und durch alternative Bewertungen ausgetauscht. Wobei auch weitere Behandlungsmaßnahmen wie Lichttherapie, Schlafentzug und verordnete körperliche Aktivität eingesetzt werden können. Zu Beginn der Burnout Behandlung stehen häufig die Stärkung persönlicher Ressourcen und Entspannung im Vordergrund. Hier geht es darum, die Stressfaktoren zu würdigen, damit sich im Anschluss mit den Ursachen der Erkrankung beschäftigt werden kann. In diesem Zusammenhang können auch Entspannungstechniken unterstützend eingesetzt werden. Vereinfacht lässt sich sagen, dass Patienten mit Burnout eher nahegelegt wird Prioritäten zu setzen und kürzer zu treten, wohingegen bei einer depressiven Symptomatik mehr die Förderung der Eigeninitiative im Vordergrund steht.

Quellenangaben
  • Bruggisser, Hans Peter: Depression und Burnout. Zeitschrift für Ganzheitsmedizin (2010), Band 22, Heft 5.
  • Bundesministerium für Gesundheit: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html, Abruf am 13.02.2022.
  • Caspar, Franz; Pjanic, Irena; Westermann, Stefan: Klinische Psychologie. Wiesbaden, 2018.
  • Dilling, Horst et al.: ICD-10: Internationale Klassifikation psychischer Störungen. Göttingen, 2015.
  • Stock, Christian: Burnout: Erkennen und verhindern. Freiburg, 2015.
  • Voderholzer, Ulrich; Hillert, Andreas; Hiller, Gabriele: Burnout & Depression. Stuttgart, 2018.

Kategorien: Burnout Depressionen

Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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