Die Tage werden kürzer, die Uhr wird umgestellt, die Temperaturen sinken und der erste Herbststurm fegt die bunt gefärbten Blätter von den Bäumen. Das Jahr neigt sich dem Ende zu und es wird langsam aber sicher Winter. Obwohl im Wechsel der Jahreszeiten auch ein großer Zauber liegt, verspüren viele Menschen eine leichte Melancholie, wenn Herbst und Winter beginnen.
Doch was ist, wenn diese leichte Melancholie in eine dauerhaft gedrückte und depressive Stimmung umschlägt und unser Energielevel gegen Null sinkt? Dann können wir nicht mehr nur von einem „Winterblues“ sprechen, sondern müssen die Möglichkeit einer Herbst- und Winterdepression in Betracht ziehen.
Experten bezeichnen diese spezielle Form der Depression als „saisonal abhängige Depression“ bzw. „seasonal affective disorder“ – kurz SAD (Wittchen & Heuer, 2006). Saisonal abhängig bedeutet in dem Fall, dass die Symptome stets mit Beginn des Herbsts und Winters eintreten und sich mit Eintreten des Frühjahrs wieder verbessern.
Besonders auffällig bei einer Herbst- und Winterdepression sind die ständige Müdigkeit, Heißhunger und eine damit verbundene Gewichtszunahme. Hinzu kommen gängige Depressionssymptome wie Antriebslosigkeit, Gereiztheit und grundlos negative Stimmung (mehr dazu finden Sie hier).
Damit eine saisonal abhängige Depression diagnostiziert werden kann, muss sich das Muster an Symptomen über zwei Jahre wiederholen: Beim Übergang von Sommer- zur Winterzeit müssen über zwei Wochen lang die oben genannten Symptome feststellbar sein (ICD-10).
Nicht jede im Herbst oder Winter auftretende Depression ist saisonal bedingt: Eine Herbst- und Winterdepression liegt nur bei jeder zehnten zu dieser Jahreszeit neu diagnostizierten Depression vor. Sie ist also deutlich seltener als die „klassische“ Depression. In Europa sind schätzungsweise 1-2% der Bevölkerung betroffen.
Es lassen sich über die Weltkarte verteilt regionale Unterschiede in der Verbreitung von Herbst- und Winterdepressionen finden: In südlichen Ländern mit vielen Sonnenstunden und milderen Wintertagen sind sie seltener als in den nordischen Ländern, in denen an manchen Tagen des Winters nur wenige Stunden die Sonne scheint und es deutlich dunkler ist.
Wichtig: Den bereits erwähnten „Winterblues“ gibt es tatsächlich, er ähnelt der saisonal abhängigen Depression, ist aber von kürzerer Dauer und milder ausgeprägt.
Wie bei jeder psychischen Erkrankung kann man auch bei der Herbst- und Winterdepression keine ganz eindeutige Ursache ausmachen. Klar ist jedoch, dass es biochemische Faktoren gibt, die die Entstehung der Erkrankung begünstigen: Wenig Licht führt zu einer vermehrten Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin, welches uns müde werden lässt. Außerdem sinkt der Serotoninspiegel durch die Überproduktion von Melatonin. Dies schlägt aufs Gemüt, denn Serotonin ist maßgeblich für unser Wohlbefinden verantwortlich (Schandry, 2011).
Viele Forscher greifen auch auf die evolutionäre Erklärung zurück, dass manche Menschen einen Hang zum Winterschlaf haben: Dies führt dazu, dass das Aktivitätsniveau abnimmt und der Appetit hochgefahren wird, um an „Winterspeck“ für die kommenden Monate zu gelangen. Eine andere Erklärung für den Heißhunger ist jedoch, dass der Organismus versucht, mit zuckerhaltigen Lebensmitteln den Serotoninspiegel (s.o.) wieder hochzufahren.
Zu den bereits genannten Faktoren kommen unsere Umweltbedingungen hinzu, wie z.B. die Tatsache, dass die meisten Menschen ihrem Beruf nicht im Freien nachgehen, sondern in geschlossenen Räumen arbeiten. Vom Tageslicht sehen die meisten Vollzeit-Berufstätigen im Herbst und Winter nur sehr wenig. Bei Stress und Termindruck fällt dann auch oft die Mittagspause flach und die einzige Chance auf Frischluft und Licht vergeht.
Betroffene einer Herbst- und Winterdepression leiden unter den Symptomen und büßen durch sie viel Lebensqualität ein. Mitunter ist auch die Arbeitsfähigkeit deutlich verringert. Die ständige, bleierne Müdigkeit erschwert den Alltag und die mit dem Heißhunger einhergehende mögliche Gewichtszunahme belastet Körper und Psyche zusätzlich. Die Situation kann sich so sehr verschärfen, dass ein stationärer Aufenthalt notwendig wird.
Wenn Sie bei sich oder Ihrem Angehörigen eine Herbst- und Winterdepression vermuten, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Mit speziell zugeschnittenen Therapieprogrammen kann die Herbst- und Winterdepression gezielt behandelt werden. Neben psychotherapeutischen Angeboten, einem gezielten Aktivitätenaufbau und ggf. medikamentöser Einstellung hilft auch eine Lichttherapie: Die Patienten werden täglich über einen längeren Zeitraum hinweg vor eine Tageslichtlampe gesetzt und nehmen so mehr Licht auf, was die Melatonin-Produktion hemmt und so aktivierend auf den Organismus wirkt.
Neben der ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung können diese kleinen Kniffe helfen, die depressive Verstimmung oder den „Winterblues“ zu überwinden:
Wie normale Depressionen auch sind Herbst- und Winterdepressionen gut behandelbar. Egal, ob es sich bei Ihnen nur um einen „Winterblues“ oder um eine Herbst- und Winterdepression handelt – wir wünschen Ihnen, dass Sie gut und vor allem gesund durch den Winter kommen. Und nicht vergessen – der nächste Frühling kommt immer schneller als gedacht!
Kategorien: Depressionen