ADHS und ADS im Erwachsenenalter

„ADHS? Das ist doch etwas bei Kindern, wenn sie sich nicht richtig konzentrieren können und in der Schule zappeln und stören…?!“

Diese Antwort würde man vermutlich öfters hören, wenn man in der Bevölkerung fragt, was sich hinter den beiden Abkürzungen verbirgt. Denn die meisten Menschen assoziieren die Störungsbilder ADHS und ADS mit Kindern. Doch die Störung bleibt über das Kindes- und Jugendalter hinaus bestehen und kann bei Erwachsenen zu enormen Leidensdruck führen.

ADHS und ADS: Abkürzungen unter der Lupe

ADHS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung. ADS für Aufmerksamkeits-Defizits-Störung. Die Störungsbilder ähneln sich, jedoch fehlt bei der ADS das hyperaktive Verhalten (American Psychiatric Association, 2013).

Symptome der ADHS und ADS

Bei einer ADHS-Problematik ist die Aufmerksamkeit der Betroffenen gestört. Diese ist immer dann gefragt, wenn eine bestimmte Aufgabe bearbeitet oder ein Ziel verfolgt werden soll. Patienten mit ADHS können ihre Aufmerksamkeit nicht so lange aufrechterhalten wie gesunde Personen. Sie werden schnell durch äußere Reize abgelenkt und können sich daher nicht gut konzentrieren. Für ADHS-Betroffene erfordern Aufmerksamkeitsleistungen eine deutlich höhere Anstrengung und geistige Kontrolle als bei Gesunden.

Von Hyperaktivität spricht man, wenn ein übermäßig hoher Bewegungsdrang vorliegt und motorische Impulse nur schwer unterdrückt werden können. Die körperliche Aktivität ist dann überschießend und somit oft nicht situationsangemessen. Die Betroffenen leiden unter einer exzessiven Ruhelosigkeit.

Obwohl der Begriff in der Abkürzung nicht vorkommt, gehört eine erhöhte Impulsivität zu den Hauptsymptomen einer ADHS/ADS. Bei impulsivem Verhalten mangelt es an der Handlungsplanung. Während gesunde Personen ihre Handlungen Schritt für Schritt durchplanen können, sind Personen mit ADHS mit dieser kognitiven Aufgabe überfordert.

Gut zu wissen: Im deutschsprachigen Raum wird die ADHS/ADS auch als hyperkinetische Störung bezeichnet (ICD 10 nach Dilling et al., 2012).

Auswirkungen von ADHS/ADS im Erwachsenenalter

Eine ausgeprägte ADHS/ADS-Symptomatik kann das Leben ganz schön erschweren. Alle Lebensbereiche können durch die Störung beeinträchtigt werden:

  • Berufsleben
  • Haushalt/Alltag
  • Selbstorganisation
  • Partnerschaft und Familie
  • Freundschaften

Spät diagnostizierte ADHS/ADS

Es kommt vor, dass eine ADHS oder ADS erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, obwohl sie immer schon in Kindes- und Jugendalter entsteht (dazu später mehr). Manchmal haben sich die Betroffenen einfach „irgendwie“ durchgekämpft oder wurden von ihrem Umfeld optimal unterstützt. Einige Menschen mit ADHS/ADS sind auch besonders kreativ und innovativ, sodass nicht wirklich von einer Störung, sondern eher von einer Besonderheit gesprochen werden kann. In dem Fall wird dann auch gar keine ADHS/ADS diagnostiziert, auch wenn sie eigentlich vorliegt. Die Faustregel ist immer: Eine Diagnose erfolgt nur bei Leidensdruck.

Wenn eine ADHS/ADS erst spät diagnostiziert wird, dann ist sie oft gar nicht der Hauptgrund, warum die Betroffenen sich in Behandlung begeben. So kann es sein, dass eine Depression, Angststörung oder Suchterkrankung vorliegt und erst bei der genauen Betrachtung der Ursachen eine ADHS/ADS erkannt wird. Die Diagnose ADHS/ADS kann dann sogar erleichternd sein. Sie erklärt, warum die Betroffenen im Leben auf so viel mehr Schwierigkeiten treffen als ihre Mitmenschen und eröffnet neue Behandlungsmöglichkeiten.

Die Entstehung und Aufrechterhaltung von ADHS/ADS

Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle für das Entstehen einer ADHS/ADS. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass kein Modell für sich allein genommen ausreicht, um die Entstehung und Aufrechterhaltung der Störung zu erklären. Es ist, wie bei jeder psychischen Störung, von einem Zusammenwirken vieler Faktoren auszugehen. Wissenschaftlich untersuchte und durch die Studienlage untermauerte Faktoren sind:

Genetische Faktoren

Zwillings- und Familienstudien zeigen, dass die Entstehung einer ADHS/ADS zu einem großen Teil genetisch bedingt ist. Ist ein direkter Angehöriger erkrankt, so besteht ein fünfmal erhöhtes Risiko, ebenfalls eine ADHS/ADS zu entwickeln.

Biologische Faktoren

Vereinfacht erklärt weist der Hirnstoffwechsel von ADHS/ADS-Patienten zum Teil genetisch bedingt folgende Besonderheit auf: Der Botenstoff Dopamin ist weniger verfügbar. Die Hypothese ist, dass Betroffene diese Unterversorgung durch eigene Aktivität versuchen auszugleichen (Döpfner, 2012). An diesem Mechanismus setzt auch das bekannte Medikament Ritalin an (s.u.).

Neuropsychologische Faktoren

Es liegen Auffälligkeiten in den sog. neuropsychologischen Fähigkeiten vor: Hierzu gehören unter anderem Aufmerksamkeit, Handlungskontrolle, Gedächtnis und Selbstregulation. Diese liegen vermutlich von Geburt an vor und entwickeln sich nicht erst durch die ADHS/ADS.

Psychosoziale Faktoren

In der Entstehung einer ADHS/ADS kann die Eltern-Kind-Interaktion eine Rolle spielen. Erziehungspersonen können sich ungünstig verhalten, z.B. in dem sie selbst inkonsequent in ihren Handlungen und Anweisungen sind.

Äußere Faktoren

Auch Schwangerschaftskomplikationen, Frühgeburtlichkeit, Infektionen oder Gifte (Nikotin, Alkohol) können die Entstehung einer ADHS begünstigen.

„ADHS/ADS: eine chronische Erkrankung?“

Mit der Zeit verringert sich bei vielen ADHS-Patienten die Auffälligkeit der Hyperaktivität. Zum Vergleich: Auch nicht von ADHS/ADHS betroffene Menschen werden mit zunehmendem Alter motorisch ruhiger. Die Störungen der Aufmerksamkeit sind hingegen hartnäckiger. Wissenschaftler gehen von folgender Grundannahme aus: Besteht eine ADHS/ADS im Kindesalter, dann besteht sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% im Jugendalter und mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auch noch im Erwachsenenalter fort.

Wichtig: Wird eine ADHS/ADS erst im Erwachsenenalter vermutet, so ist es für eine sichere Diagnose zwingend notwendig, dass in der Rückschau die Beeinträchtigungen schon im Kindesalter vorlagen.

ADHS/ADS als Risikofaktor für weitere Schwierigkeiten

Menschen mit einer ADHS/ADS können manche der Entwicklungshürden, die uns zwangsläufig im Leben begegnen, nicht so gut meistern. So können sich beispielsweise soziale Kompetenzen, die Selbststeuerung und das Selbstbild nicht so gut entwickeln, da die Ruhe hierfür einfach fehlt. Die schulische und berufliche Entwicklung leidet hierunter und so kann eine ADHS/ADS einen wahren Berg an Problemen mit sich ziehen.

Die Behandlung von ADHS und ADS bei Erwachsenen

Die Behandlung von ADHS/ADS bei Erwachsenen setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen (Riechmann et al., 2017):

Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting
In einer Psychotherapie Was erwartet mich in einer Psychotherapie? können Mechanismen zum Umgang mit der Störung erlernt werden. Psychotherapeuten sprechen hier häufig von Coping-Strategien. Das englische Wort Coping steht für die Nutzung eigener Ressourcen, um mit persönlichen und zwischenmenschlichen Problemen lösungsorientiert umzugehen (Solanto et al., 2008). In der Gruppentherapie kann es zum Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen kommen, der sehr erleichternd und bestärkend wirken kann.

Medikamentöse Behandlung
Die medikamentöse Behandlung ähnelt der im Kindesalter. Besonders bekannt und verbreitet ist die Gabe des Wirkstoffs Methylphenidat – besser bekannt unter dem Namen Ritalin. Ritalin normalisiert den Hirnstoffwechsel und sorgt dafür, dass die Betroffenen mehr Dopamin zu Verfügung haben (Döpfner, 2004). Menschen mit ADHS/ADS werden hierdurch ruhiger und können sich besser konzentrieren, da sie die Dopaminkonzentration nicht durch eigene Aktivität in die Höhe treiben müssen. Hinzu kommen nach gründlicher medizinischer Abklärung Medikamente zur Behandlung von psychischen Störungen, die als Komplikation der ADHS/ADS auftreten, z.B. Depressionen und Angststörungen.

Neurofeedback
Das Neurofeedback ist eine computergestützte Methode, die die Aufmerksamkeit und die Selbststeuerung trainieren soll. Die Idee dahinter ist, dass der Computer immer dann Rückmeldung gibt, wenn die Aufmerksamkeit hinuntergeht und die Betroffenen ein Signal bekommen, dass sie an die Selbstregulation der Aufmerksamkeit erinnert. Zum Teil wird auch eine Messung der Gehirnaktivität miteinbezogen und die Patienten lernen, die elektrische Aktivität ihres Gehirns zu beeinflussen.

ADHS bei Erwachsenen: Sind Sie betroffen?

Liegt bei Ihnen oder einem Angehörigen die Diagnose ADHS/ADS im Erwachsenenalter vor, so ist die gute Nachricht, dass sich die Wahrnehmung und Erforschung dieses Störungsbildes in den letzten beiden Jahrzehnten stark verbessert hat (Überblick in der Forschung von de Zwan et al., 2012). Es liegen gut erprobte Konzepte vor, wie eine solche Erkrankung sinnvoll behandelt werden kann.

So leben sie als Erwachsener gut mit ADHS/ADS

Viele Verhaltensweisen, die das Leben mit einer ADHS/ADS einfacher machen, können mit Hilfe und langfristigem Training erlernt werden. Solanto et al. (2008) geben Bereiche an, in denen kleine Kniffe und Übungen den Alltag erleichtern können: Zeitmanagement, „Aufschieberitis“, Ablenkbarkeit und Organisationsfähigkeit sind nur einige davon. Prioritäten setzen, einen Kalender führen und die Aufteilung von größeren Aufgaben in Teilziele – all das kann gezielt geübt werden! Ein gutes Leben ist auch mit einer ADHS/ADS möglich. Scheuen Sie sich nicht, externe Hilfe zu suchen und sich beraten zu lassen – hierfür wünschen ich Ihnen an dieser Stelle viel Erfolg und die nötige Portion Ruhe!

Quellenangaben

(1) Berberich, G., & Zaudig, M. (2015). Das alternative Modell für Persönlich-keitsstörungen in DSM-5. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Krimino-logie, 9(3), 155-163.

(2) Bohus, M., Landwehrmeyer, G. B., Stiglmayr, C. E., Limberger, M. F., & d Christian, G. S. (1999). An Open-Label Trial. J Clin Psychiatry, 60, 598-603.

(3) Fiedler, P. (2009). Persönlichkeitsstörungen. In Lehrbuch der Verhaltens-therapie (pp. 515-531). Springer, Berlin, Heidelberg.

(4) Linehan, M. (2008). Dialektisch-Behaviorale Therapie der Borderline-Persönlichkeitsstörung. München: Cip-Medien.

(5) Skodol, A. E., Pagano, M. E., Bender, D. S., Shea, M. T., Gunderson, J. G., Yen, S., … & Zanarini, M. C. (2005). Stability of functional impairment in patients with schizotypal, borderline, avoidant, or obsessive–compulsive personality disorder over two years. Psychological Medici-ne, 35(3), 443-451.

Kategorien: ADS/ADHS Depressionen

Verena Klein
Autor Verena Klein
"Die LIMES Schlosskliniken haben sich auf die Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen spezialisiert. Mit Hilfe des Blogs möchten wir als Klinikgruppe die verschiedenen psychischen Erkrankungen näher beleuchten und verschiedene Therapien sowie aktuelle Themen vorstellen."

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