Postpartale Depression bei Müttern

… Die frischgebackene und überglückliche Mutter kümmert sich um ihr Neugeborenes. Das Baby ist zufrieden, schreit nur wenig und entwickelt sich prächtig. Mutter und Vater finden sich gemeinsam in ihre neuen Rollen ein und schweben auf Wolke Sieben. Natürlich sind beide übernächtigt und noch ziemlich überwältigt von der neuen Situation, aber es pendelt sich langsam alles aufeinander ein …

So soll es oder – in manchen Köpfen – muss es nach der Geburt eines Kindes sein. Viele übersehen in ihren Traumvorstellungen, dass die Realität ganz anders aussehen kann. Denn eine Geburt ist im Leben einer Frau ein einschneidendes Erlebnis. Das neue Leben mit einem Säugling wirbelt das Leben, die Hormone und die Gefühle durcheinander. Neben dem häufig vorkommenden aber nur kurz andauernden „Baby-Blues“ kann sich eine postpartale Depression herausbilden, die unbedingt professionell behandelt werden muss.

Baby-Blues oder postpartale Depression?

Beim Baby-Blues handelt es sich um ein häufig auftretendes Phänomen. Etwa 50-80% der Mütter erleben kurz nach der Geburt eine kurzzeitige depressionsähnliche Symptomatik (O’Hara & Swain, 1996). Es kommt zu Gefühlsausbrüchen, Hilflosigkeit und Erschöpfungszuständen. Die Freude über das frischgeborene Kind ist vorübergehend getrübt. Diese Symptomatik legt sich aber nach einigen Tagen, ohne das eine Behandlung vonnöten ist.

Postpartale Depressionen im ersten Jahr nach der Entbindung
Eine postpartale Depression kann sich im Gegensatz zum Baby-Blues im gesamten ersten Jahr nach der Entbindung entwickeln. Hält eine depressive Verstimmung innerhalb dieses Zeitraums länger als zwei Woche an, so muss der eine postpartale Depression in Erwägung gezogen werden. Je besser Mütter und Väter über das Risiko und die Symptome dieser Erkrankung aufgeklärt ist, desto schneller kann professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden.

Aufklärung durch Ärzte, Pflegepersonal und Hebammen
Da sich ein frühzeitiges Erkennen der postpartalen Depression positiv auf den Behandlungsverlauf auswirkt, kommt der Beratung und Begleitung von Eltern zu diesem Thema ein hoher Stellenwert zu. Postpartale Depressionen sollten im Krankenhaus durch Ärzte und Pflegepersonal und nach der Geburt durch die betreuende Hebamme angesprochen werden. Noch immer kommt es dazu, dass eine postpartale Depression nicht erkannt wird, da es weiterhin ein Informationsdefizit zu diesem Thema gibt (Hartmann, 2011)

Häufigkeit der postpartalen Depression
Postpartale Depressionen sind ein Tabuthema und bestehen große Wissenslücken bei werdenden Eltern. Dabei sind postpartale Depressionen nicht selten. Sie treten bei etwa 10-20% der Mütter auf. Auch Väter können an einer postpartalen Depression erkrankten. Das Risiko ist aber geringer und liegt bei etwa 4% (Hartmann, 2011).

Wichtig: Manchmal hört man statt des Begriffes postpartal das Wort postnatal. Aus medizinischer Sicht ist postpartal die korrekte Bezeichnung. Postpartal bedeutet „nach der Entbindung“ und ist auf die Mutter bezogen. Der Begriff postnatal wird hingegen genutzt, wenn man über das Neugeborene spricht. Im Deutschen ist auch der Begriff Wochenbettdepression anstelle von postpartalen Depressionen geläufig.

Symptome der postpartalen Depression

Im Prinzip ähneln die Symptome der postpartalen Depression denen einer Depression in anderen Lebensabschnitten. Es gibt aber Besonderheiten, die sich durch die neue Mutterrolle ergeben. Häufig haben betroffene Mütter Probleme, gute Gefühle für ihr Kind zu entwickeln. Sie fühlen sich dadurch kalt und gefühllos und zweifeln an ihren Fähigkeiten als Mutter. Betroffene sind oft überzeugt, dass sie keine gute Mutter für ihr Kind sind. Dies führt zu einem hohen Leidensdruck durch starke Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit.

Zwanghafte Gedanken als Symptom der postpartalen Depression
Im Umkehreffekt ergibt sich durch eine postpartale Depression oft eine extreme Sorge um das Wohlergehen des Kindes. Diese kann in zwanghaften, immer wiederkehrenden Befürchtungen münden. Diese Zwangsgedanken drehen sich oft darum, dass die Mutter das Kind durch ihr Verhalten verletzen oder gefährden könnte (mehr Informationen zum Thema Zwangsgedanken finden Sie hier).

Störungen der Interaktion zwischen Mutter und Kind
Häufig ergeben sich im Zusammenhang mit der postpartalen Depression Probleme beim Füttern oder Stillen des Säuglings. Die Gründe dafür sind, dass die Depression die Interaktion zwischen Mutter und Kind verändert. Die Forschung zeigt, dass Mütter, die unter einer postpartalen Depression leiden, weniger sensibel auf die Signale ihres Kindes reagieren. Auch das Kind verändert dadurch sein Interaktionsverhalten (Field, 2010).

Wichtig: Neben der postpartalen Depression kann es in seltenen Fällen auch zu einer postpartalen Psychose kommen, bei der Sinnestäuschungen das Hauptsymptom sind. Auch hier ist professionelle Hilfe sofort erforderlich!

Risikofaktoren für eine postpartale Depression

Der Life-Event-Ansatz der Psychologie besagt, dass Depressionen häufig nach einschneidenden Erlebnissen auftreten (Wittchen & Heuer, 2006). Meistens denkt man nur an negative Ereignisse, wie den Verlust von Angehörigen, ein Jobwechsel oder Arbeitslosigkeit, aber auch positive Erlebnisse können das Leben drastisch verändern! So auch eine Geburt: Als hervorstechendes Life-Event im Leben einer Frau erhöht sie das Auftrittsrisiko von psychischen Erkrankungen. Kommen noch weitere ungünstige Faktoren hinzu, kann sich eine postpartale Depression ausbilden:

  • psychische Vorerkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen
  • Komplikationen während Geburt und Schwangerschaft
  • mangelnde soziale Unterstützung
  • Probleme mit der Einfindung in der neuen Rolle als Mutter
  • … Diese Risikofaktoren müssen nicht zwangsweise vorliegen.

Auch bei Müttern, die psychisch stabil und sozial gut eingebettet sind, kann sich eine postpartale Depression entwickeln. Die genauen Ursachen sind nicht geklärt. Es können immer nur Vermutungen angestellt werden, welche Faktoren zu der postpartalen Depression geführt haben.

Verlauf und Behandlung einer postpartalen Depression

Wie auch die „normale“ Depression ist eine postpartale Depression gut behandelbar. Zu den klassischen Behandlungsansätzen kommen noch Therapiebausteine hinzu, die sich speziell auf die neue Rolle als Mutter beziehen:

  • Psychoedukation: Die Mutter, der Partner und die Angehörigen müssen umfassend über das Störungsbild, die Ursachen und die Behandlungsmöglichkeiten informiert werden. Allein durch die Wissensvermittlung wird die Hoffnung auf eine erfolgreiche Behandlung unterstützt.
  • Psychotherapie: In einer psychotherapeutischen Therapie in Gesprächsform lernt die Mutter den Umgang mit negativen Gedanken, ändert dysfunktionale Gedankenabläufe und lernt, wie sie konstruktiv mit der Erkrankung umgehen kann.
  • Medikamente: Unter enger Rücksprache mit Fachärzten kann eine medikamentöse Einstellung erfolgen. Mittlerweile gibt es Wirkstoffe, die für stillende Mütter gut geeignet sind.
  • Aktivitätenaufbau und Strukturierung: Es werden gemeinsam mit Fachpersonen (z.B. Kinderarzt, Psychotherapeuten oder Hebamme) Tagesstrukturen entwickelt, die helfen, sich in den neuen Alltag mit Baby einzufinden.
  • Mütter- und Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Müttern oder Betroffenen einer postpartalen Depression kann heilsam sein. Hier können Erfahrungen, Tipps und Strategien miteinander besprochen oder geteilt werden.
  • Stillberatung: Kommt es im Zuge der postpartalen Depression zu Fütter- oder Stillproblemen, kann eine professionelle Stillberatung helfen. Mehr dazu finden Sie auf dieser Website.

Oft ist eine ambulante Versorgung ausreichend und die Symptome klingen nach und nach ab. Manchmal benötigen Mütter jedoch intensivere Hilfe und müssen stationär behandelt werden. Hier gibt es mittlerweile viele Klinikkonzepte, wie Mutter und Kind gemeinsam behandelt werden können.

Das Stigma auflösen

Zu guter Letzt ist es wichtig, Müttern und ihre Angehörigen folgendes ans Herz zu legen: Holen Sie sich Hilfe, wenn es Ihnen nicht gut geht. Sprechen Sie Gefühle und Probleme an. Lasst Sie sich nicht von Rollenklischees und zu hohen Erwartungen an die neue Mutter- oder Vaterrolle beeinflussen. Je eher die Behandlung der postpartalen Depression beginnt, desto eher kann die Zeit mit dem Kind wieder in vollen Zügen genossen werden.

Quellenangaben

(1) Field, T. (2010). Postpartum depression effects on early interactions, parenting, and safety practices: a review. Infant Behavior and Development, 33(1), 1-6.

(2) Hartmann, H. P. (2011). Ursachen, Behandlung und Verlauf postpartaler Depression. Familiäre Belastung in früher Kindheit (S. 66–81). Stuttgart: Klett-Cotta.

(3) Field, T. (2010). Postpartum depression effects on early interactions, parenting, and safety practices: a review. Infant Behavior and Development, 33(1), 1-6

(4) O’hara, M. W., & Swain, A. M. (1996). Rates and risk of postpartum depression—a meta-analysis. International Review of Psychiatry, 8 (1), 37–54.

(5) https://www.lalecheliga.de/

Kategorien: Depressionen

Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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