Unerfüllter Kinderwunsch – Eine Gefahr für die psychische Gesundheit

Viele trifft es völlig unerwartet! Der sehnliche Kinderwunsch möchte einfach nicht in Erfüllung gehen und die Verzweiflung steigt mit jeder unerwünschten Monatsblutung. Kein seltenes Phänomen – In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos. Das lässt erahnen, wie hoch die Zahl der Betroffenen ist, die durch Stress, Frust und Traurigkeit enorm belastet sind. Es ist naheliegend, dass auch Depressionen in dem Zuge keine Seltenheit sind. Gerade Frauen erhalten immer wieder den Rat, sich nicht allzu viel Druck zu machen – dann wird es schon leichter klappen. Das stürzt viele allerdings in noch größere Not, denn der Wunsch kann kaum auf Knopfdruck fallen gelassen werden.

Macht Stress unfruchtbar oder die Unfruchtbarkeit Stress?

Genau diese Frage gewinnt auch in der Forschung zunehmend an Bedeutung. Grundsätzlich können verschiedenste Faktoren, wie ein hohes Arbeitspensum oder Belastungen im sozialen Umfeld, eine Schwangerschaft erschweren. Auch der Stress, der durch einen länger unerfüllten Kinderwunsch erst entsteht, kann weitere, für den Kinderwunsch bedeutsame, Faktoren negativ beeinflussen:

Den Hormonhaushalt: Hormone regulieren den Monatszyklus der Frau und entscheiden, wann der Eisprung stattfindet. Stress kann diesen durcheinander bringen und die Entwicklung einer reifen Eizelle verhindern. Beim Mann kann sich sowohl die Anzahl, also auch die Konzentration oder Motilität der Spermien verschlechtern.

Die Beziehung: Die Enttäuschung und der Druck von unerfülltem Kinderwunsch in einer Partnerschaft kann diese ganz schön belasten. Das Gefühl der Verursacher zu sein kann Versagensängste und Schuldgefühle aufbauen. Oft nimmt das Kinderwunschthema überdimensional viel Raum ein und die Partnerschaft leidet. Durch die mentale Belastung lässt unter Umständen auch die sexuelle Lust nach, was eine Schwangerschaft noch weiter in die Ferne rückt.

Die Ernährung: Mangelnder Appetit kann zu einer weniger ausgewogenen und vitaminärmeren Ernährung führen. Auch übermäßiges Essen und im schlimmsten Falle Übergewicht sind, gerade beim Mann, nicht förderlich für die Fruchtbarkeit.

Die Psyche: Das Gefühl die eigene Lebensplanung nicht mehr unter Kontrolle zu haben kann schnell zu Selbstzweifeln, Schuldgefühlen und einem geringen Selbstbewusstsein führen. Im schlimmsten Fall mündet die psychische Belastung in einer ernsthaften Erkrankung.

Wichtig: Die aktuellsten Forschungsergebnisse schreiben Stressoren als Ursache für Unfruchtbarkeit zwar eine Bedeutung zu, jedoch nicht so gravierend, wie sich vielleicht erwarten ließe. Eine Ausnahme bilden dabei extreme Situationen wie ein Krieg. Der durch einen unerfüllten Kinderwunsch entstehende Stress hingegen wird als wesentlich weitreichender angesehen.

Auswirkungen auf die Wahrnehmung

Die Dimension der psychischen Belastungsfaktoren bei unerfülltem Kinderwunsch wird ebenfalls bei der sich verändernden alltäglichen Wahrnehmung deutlich. Viele Betroffene berichten davon, dass es plötzlich scheint, als wenn alle Freunde im Umfeld problemlos Kinder bekommen und die Straßen nur voll von Familien mit Kleinkindern und schwangeren Frauen wären. Jedes Gespräch und jede Bemerkung über Schwangerschaft und Kinder wird nicht selten als Kränkung erlebt.

Familienfeste und Treffen mit Bekannten werden nun zur Bedrohung, weil Betroffene sich als Außenseiter erleben und Angst vor Gesprächen über die eigene Kinderlosigkeit haben. Genau diese spezifische Wahrnehmungsverzerrung bringt oft das Gefühl der Isolation mit sich. Teilweise findet sogar tatsächlich eine physische Abgrenzung statt um der Hilflosigkeit in diversen Situationen nicht mehr ausgeliefert zu sein. All diese Gedanken und Faktoren zeigen, wie das anfänglich freudige Thema des Kinderwunsches irgendwann in pure Verzweiflung umschlagen kann und das Leben von Betroffenen auf allen Ebenen zur Belastung wird.

Kann ein unerfüllter Kinderwunsch zu Depressionen führen?

Bei den weitreichenden Stressoren von unerfülltem Kinderwunsch ist es nicht verwunderlich, dass auch psychische Erkrankungen wie Depressionen entstehen können. Gerade Frauen sind hier die Leidtragenden, da bei ausbleibender Schwangerschaft öfter davon ausgegangen wird, dass die Ursache bei ihnen liegt und sie mehr Druck ausgesetzt sind. Ebenfalls begünstigen einige medizinische Ursachen, die zu einer ausbleibenden Schwangerschaft führen, wie das PCO-Syndrom, das Ausbrechen von Depressionen.

Auch Kinderwunschbehandlungen sind laut einer Vielzahl an Studien gerade wegen ihren häufigen Nebenwirkungen mit ihnen verknüpft. Schuld daran sind die induzierten Hormone, welche die Stimmung nachweislich verschlechtern können. Gerade bei langwierigen Behandlungen wird die Angst meist immer realer, dass man vielleicht nie leibliche Kinder bekommen wird und der Lebensplan, den man sich all die Jahre ausgemalt hat, so nie in Erfüllung gehen wird. Folgende Symptome können bei Depressionen auftreten, die durch unerfüllten Kinderwunsch ausgelöst wurden:

  • Starke Abnahme der Lebensfreude
  • Permanent kreisende Gedanken um den Kinderwunsch
  • Kleine Aufgaben sind plötzlich unfassbar kräftezehrend
  • Lustlosigkeit und Interessensverlust bestimmen den Alltag
  • Vermindertes Selbstwertgefühl, Empfinden von Schuld und Wertlosigkeit
  • Sehr geringe Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit

Die Bedeutung der eigenen Kindheit

Auch die Frage nach dem „Warum?“ wird bei Betroffenen irgendwann laut. Viele Ratgeber sprechen sich für einen Zusammenhang von Defiziten der eigenen Kindheit und dem unerfüllten Kinderwunsch aus. „Unbewusst wird sich einer Schwangerschaft verweigert, da man selbst nie von den eigenen Eltern angenommen wurde“ oder „Minderwertigkeitsgefühle aus der Kindheit verhindern eine Schwangerschaft. Ich bin weniger wert und nicht gut genug als Elternteil“. Oft hören Betroffene auch, dass sie noch nicht reif für eine Elternschaft seien.

Genau diesen Annahmen fehlt Aufklärung, da nur ein kleiner Prozentsatz der Fertilitätsstörungen wirklich rein psychisch ist. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass Personen mit unerfülltem Kinderwunsch schlechtere Beziehungen zur eigenen Familie haben. Auf der verzweifelten Suche nach Erklärungen können Schuldzuweisungen und psychologische Selbstergründungen  eher depressiv und wütend machen. Folgende Fragen können jedoch Aufschluss darüber geben, ob familiäre seelische Schwierigkeiten den Umgang mit der Kinderlosigkeit beeinflussen:

Was bedeutet Familie für mich? Welches Bild von Schwangerschaft  und Geburt habe ich vermittelt bekommen? Welche Bedeutung hat ein Kind für mein Selbstbewusstsein? Ist die Kinderlosigkeit so schlimm für mich, weil ich hoffe mit einem Kind seelische Verletzungen der eigenen Kindheit heilen zu können? Welche Veränderungen sind auch ohne Kind möglich? 

Die Antwort auf die Fragen ist nicht immer leicht. Doch durch die Auseinandersetzung mit ihnen gibt es Hoffnung, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse besser kennen zu lernen. Wenn der Eindruck besteht, dass frühere Erlebnisse den Umgang mit der Kinderlosigkeit negativ beeinflussen, kann professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Wenig wertschätzende oder fehlende Bezugspersonen bedingen ein instabiles Selbstwertgefühl und vielleicht die Sorge, ohne ein Kind nicht als erwachsene Person wahrgenommen zu werden.

Auch kann eine Prägung erfolgt sein, dass die eigene Identität und Bestimmung weitgehend nur als Mutter, seltener als Vater, gesehen wird oder Betroffene erwarten, dass sich durch Kinder die Beziehung zu Eltern oder Schwiegereltern verbessert. Jedoch sollte nicht angefangen werden zu überlegen, ob der unerfüllte Kinderwunsch durch negative Kindheitserinnerungen ausgelöst wird, da das ist bei den allermeisten Betroffenen nicht der Fall ist.

Entlastung durch Psychotherapie

Nicht nur in Bezug auf die Aufarbeitung der eigenen Kindheit, auch bei entstandenen Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen durch den unerfüllten Kinderwunsch kann professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie sinnvoll sein. Besonders, wenn Betroffene vermehrt Probleme haben ihren Alltag zu stemmen und die Lebensqualität stark eingeschränkt ist, sollte diese Unterstützung in Betracht gezogen werden.

Die Psychotherapie bietet einen geschützten Rahmen, wo Gefühle und Gedanken bei einer unabhängigen Person Raum bekommen und gemeinsam Auswege gefunden werden. Ebenfalls kann ein belastetes Paar Unterstützung durch eine Therapie erhalten und die Beziehung gemeinsam mit dem Therapeuten stärken. Ziel ist unter anderem, neue Unternehmungen auszuprobieren und sich wieder Ziele außerhalb des Kinderwunsches zu stecken um die Freude am Leben wieder zu finden. Was psychologische Unterstützung außerdem leisten kann:

  • Entscheidungshilfe bezüglich  einzelner  medizinischer  Behandlungsschritte
  • Die Bearbeitung von sexuellen Störungen
  • Unterstützung der Akzeptanz einer möglicherweise nicht therapierbaren körperlichen Störung sowie Unterstützung bei  der  gegebenenfalls  notwendigen  Veränderung des Lebensstils
  • Erlernen von Entspannungsverfahren

Auch wenn die mentale Belastung nicht zu bewältigen scheint und Verzweiflung sowie Hoffnungslosigkeit den Alltag bestimmen, es gibt vielfältige therapeutische Angebote um Betroffene zu unterstützen. Auch der Besuch einer Selbsthilfegruppe kann neben der klassischen Einzel- oder Paartherapie Halt geben.

Quellenangaben
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/schwangerschaft-und-kinderwunsch/ungewollte-kinderlosigkeit#:~:text=In%20Deutschland%20ist%20fast%20jedes,Paare%20auf%20medizinische%20Hilfe%20angewiesen, Abruf am 22.04.2022.
  • Wischmann, Tewes; Stammer, Heike: Der Traum vom eigenen Kind. Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch. Stuttgart, 2017.

Kategorien: Depressionen Therapie

Verena Klein
Autor Verena Klein
"Die LIMES Schlosskliniken haben sich auf die Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen spezialisiert. Mit Hilfe des Blogs möchten wir als Klinikgruppe die verschiedenen psychischen Erkrankungen näher beleuchten und verschiedene Therapien sowie aktuelle Themen vorstellen."

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