Anpassungsstörung – Wenn belastende Ereignisse zur Lebenskrise werden

Anpassungsstörungen gehören zu der Art psychischer Erkrankungen, die lange Zeit viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten haben. Oft erkennen Betroffene nicht mal selbst, dass ihre Trauer, ihre Ängste oder ihre Wut Krankheitswert besitzen und gelangen dadurch in noch schwerwiegendere psychische Abwärtsspiralen. Mit dem Wissen um bestimmte Anzeichen kann eine solche Erkrankung schon früh erkannt und mit therapeutischer Unterstützung sehr erfolgreich behandelt werden.

Wann liegt eine Anpassungsstörung vor?

Im Laufe des Lebens durchlebt jeder mal herausfordernde und belastende Situationen. Allerdings ist der Umgang mit diesen grundverschieden und den einen fällt es leichter, den anderen schwerer mit ihnen fertig zu werden. Trauer, Angst und Wut sind dabei übliche Reaktionen, die egal wie stark ausgeprägt, jeder kennt. Im Falle einer Anpassungsstörung allerdings schafft die betroffene Person es nicht mit diesen starken Gefühlen umzugehen und sich adäquat an die neue Situation „anzupassen“. Die Folgen sind:

  • Ausgeprägte negative Veränderungen des Gemütszustandes (z.B. Lustlosigkeit, Grübeln, Angst, innere Leere)
  • Störungen des Sozialverhaltens (z.B. Rückzug oder übermäßiges Bedürfnis nach Nähe)
  • Verminderte Leistungsfähigkeit (Schwierigkeiten Verpflichtungen nachzukommen)
  • Körperliche Beschwerden (z.B. Kopfschmerzen, Übelkeit, Verspannungen)

In schlimmen Fällen entstehen bei Betroffenen gravierende Beziehungsprobleme oder es kommt zum Verlust des Arbeitsplatzes. Auch besteht nicht selten ein gesteigerter Alkohol- und Drogenkonsum. Es ist ebenfalls wichtig zu erwähnen, dass nicht das objektive Ausmaß einer zugrundeliegenden Situation den Grad der Belastung bestimmt, sondern das subjektive Empfinden sowie die vorhandenen Bewältigungsstrategien und Widerstandsfähigkeit. Meistens lassen die Symptome nach rund sechs Monaten nach. In einigen Fällen entwickeln sie sich jedoch auch zu schwerwiegenderen psychischen Störungen wie Depressionen oder Angststörungen.

Normale Reaktion oder schon eine Anpassungsstörung?

Wie bereits erwähnt geht jeder Mal durch herausfordernde Zeiten – und nicht jeder entwickelt eine Anpassungsstörung. Bei üblichen Reaktionen auf belastende Situationen oder Ereignisse bleibt noch ein gewisses Maß an Freiheit vorhanden und nicht alle Lebensbereiche werden beeinträchtigt. Ebenfalls halten die Symptome nicht so lange an. Bei einer Anpassungsstörung zeigt sich meistens schon innerhalb des ersten Monats eine Symptomverfestigung.

Achtung bei der Diagnostik: Abgrenzung zu anderen psychischen Störungsbildern

Wie schon deutlich wurde, ist die Symptomatik einer Anpassungsstörung der von vielen anderen Krankheitsbildern sehr ähnlich und bedarf bei der Diagnostik einer besonderen Aufmerksamkeit. Körperliche Erkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und Autismus sollten beispielsweise ausgeschlossen werden. Auch sind natürlich die genannten Zeitspannen, in denen die Symptome bestehen, sehr entscheidend.

Was sind ursächliche Faktoren?

Wie bei vielen psychischen Erkrankungen gibt es auch bei einer Anpassungsstörung nicht DIE EINE Ursache. Jeder Erkrankung geht jedoch ein belastendes Ereignis voraus, manchmal ist es auch die Folge mehrerer solcher Situationen aufeinander. Bei einem solchen Ereignis handelt es sich jedoch nicht um eine reine Extremsituation, sondern um eine schwerwiegende Lebenskrise. Beispiele hierfür sind:

  • Unfälle
  • Tod einer nahestehenden Person
  • Arbeitsplatzverlust
  • Scheidung
  • Mobbing
  • Finanzielle Schwierigkeiten
  • Schwere Erkrankungen
  • Anhaltende familiäre oder berufliche Konflikte
  • Geburt eines Kindes
  • Und viele mehr…

Auch kann das soziale Umfeld zu einer Erkrankung beitragen, wenn zu wenig oder keine Unterstützung besteht. Bisher noch nicht ganz klar ist wie bedeutsam genetische Faktoren sind. Wenn Personen von Grund auf ein größeres Maß an Sensibilität besitzen, könnte das ebenfalls der Grund sein warum einige Personen eher erkranken als andere.

Wie kann Psychotherapie helfen?

Eine Psychotherapie ist im Falle einer Anpassungsstörung sehr wirksam – besonders umso früher sie in Anspruch genommen wird. In vielen Fällen lassen die Symptome nach einigen Monaten zwar von selber nach, jedoch kann therapeutische Unterstützung diesen Prozess beschleunigen und wesentlich erträglicher gestalten. Wenn es sich noch um ein frühes Stadium handelt, reichen sogar oft wenige Sitzungen aus, den Umgang mit negativen Emotionen, körperlichen Beschwerden und sozialen Herausforderungen zu verbessern. Je nach Situation können auch Angehörige mit einbezogen werden. Besonders bewährt hat sich dabei die Verhaltenstherapie. Im Rahmen dieser werden individuelle Bewältigungsstrategien entwickelt, bestehende Ressourcen gestärkt und neue entwickelt. Diese können beispielsweise die Teilnahme an positiven Aktivitäten, den Ausbau von Sozialkontakten oder die Förderung von hilfreichen Gedanken umfassen. Auch Entspannungsverfahren wie Meditation, progressive Muskelentspannung oder Yoga können zum Einsatz kommen. Darüber hinaus kann am Missbrauch von Suchtmitteln gearbeitet werden. Zum Ende einer Therapie ist es wichtig, persönliche Frühwarnzeichen zu definieren, den Umgang mit diesen zu besprechen und Verhaltensweisen aufzuzeigen, damit es bei künftigen belastenden Ereignissen gar nicht erst so weit kommen kann.

Exkurs: Kleine Helfer im Umgang mit belastenden Situationen

Um den Umgang mit schwierigen Situationen im Allgemeinen zu stärken oder auch die individuelle Belastungsfähigkeit zu erhöhen, gibt es einige hilfreiche Methoden. Sie helfen zwar nicht alleinig wenn bereits eine tiefe emotionale Betroffenheit oder psychische Erkrankung besteht, können jedoch für den Ausbau von Ressourcen sorgen:

Ausreichend Schlaf

Zwischen sieben und neun Stunden Schlaf braucht eine erwachsene Person im Durchschnitt. Kommen Sie regelmäßig auf diese Zahl? Es empfiehlt sich zudem zu festen Uhrzeiten ins Bett zu gehen und aufzustehen. Während des Schlafes finden lebenswichtige Prozesse statt, bei denen die Abwehrkräfte gestärkt werden, Zellen erneuert werden und vom Gehirn alle neu gesammelten Eindrücke verarbeitet werden.

Regelmäßige Sozialkontakte

Die Pflege von Freundschaften und familiären Kontakten befriedigt unser ureigenes Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Neben schönen Erlebnissen und Erinnerungen können auch Gedanken und Sorgen geteilt sowie emotionaler Beistand erhalten werden. Die Menschen in unserem Umfeld können uns darüber hinaus inspirieren sowie uns in unseren Wertvorstellungen bestätigen.

Für Auszeiten sorgen

Was das für jede einzelne Person bedeutet ist ganz individuell. Ob es das Lesen eines guten Buches ist, das Schwimmen im See, eine Massage oder ein Kinobesuch. Es ist wichtig einen Ausgleich zwischen Pflichten und Bedürfnissen zu finden um langfristig handlungsfähig zu sein.

Ausreichend Bewegung

Das zählt für einige Personen vielleicht schon zu einer Auszeit, für andere ist es zunächst erstmal eine Überwindung. Dabei lohnt es sich, jegliche Formen von Bewegung auszuprobieren: Wenn es nicht das klassische Joggen oder der Besuch im Fitnessstudio ist, dann vielleicht ein schöner Spaziergang, ein paar Minuten Dehnen oder eine Runde Federball im Park.

Gesunde Ernährung

Dieser Punkt wird immer noch stark unterschätzt. Kaum etwas ist so eng mit unserem psychischen Wohlbefinden verknüpft wie unser Darm. Regelmäßige und vielfältige Mahlzeiten bilden dabei die Basis. Genauso wie nicht zu spätes Abendessen vor dem Schlafengehen oder die Empfehlung mindestens 25 verschiedene Obst und Gemüsesorten die Woche zu sich zu nehmen.

Quellenangaben
  • Bengel, Jürgen & Hubert, Sybille: Anpassungsstörung und akute Belastungsreaktion. Göttingen, 2010.
  • Hoffmann, Nicolas & Hofmann, Birgit: Anpassungsstörung und Lebenskrise. Weinheim, 2017.
  • Löhmer, Cornelia & Standhardt, Rüdiger: Die Kunst, im Alltag zu entspannen. Stuttgart, 2013.
  • Neumeir, Christian: Stress bewältigen. München, 2010.

Kategorien: Therapie

Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether
Dr. med. Kjell R. Brolund-Spaether ist renommierter Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, bei dem stets der Mensch im Mittelpunkt steht: Dank seiner individuell abgestimmten, ganzheitlichen Behandlungspläne verbessert und personalisiert er die psychiatrische Versorgung kontinuierlich. Seine umfassende Expertise in der psychotherapeutischen und medikamentengestützten Behandlung erlangte er durch sein Studium der Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel, spezialisierte Weiterbildungen sowie seine langjährige Erfahrung in führenden Positionen. Seit 2019 ist Dr. med. Brolund-Spaether als Chefarzt und seit 2023 als Ärztlicher Direktor der LIMES Schlosskliniken AG tätig. 2024 trat er unserem Vorstand bei.

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