von Dr. Gerhard Hofweber
Die Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit reflektieren unser Gefühlsleben, seine Störungen und seine Ordnung aus einer philosophischen Perspektive heraus. Die philosophische Betrachtung eröffnet neue Blickwinkel, lädt uns ein, bekannte Dinge neu zu betrachten und somit uns und die Welt neu kennen zu lernen.
Sie kann einen therapeutischen Prozess nicht ersetzen, aber sehr wohl unterstützen und damit sehr hilfreich für Ihren individuellen Erkenntnis- und Genesungsprozess sein.
Die Hemmung durch die Struktur unseres Selbstbewusstseins und die Notwendigkeit des Sichanvertrauens.
Wenn ich erfüllt leben möchte, muss ich mir meiner Vergangenheit versöhnt sein. Ohne die Versöhnung ist ein glückliches und erfülltes Leben nicht möglich. Der Grund dafür ist der, dass ich ohne die Versöhnung mit meiner inneren Aufmerksamkeit in der Vergangenheit verhaftet bin und gleichsam auf eine Lösung aus der vergangenen Zeit warte. Aber dies ist nicht möglich. Erfülltes Leben ist nur in der Gegenwart möglich und nur in der Gegenwart kann ich die Versöhnung vollziehen.
Aber auch wenn ich mich mit meiner Vergangenheit versöhnen möchte, muss ich mir dessen gewahr sein, dass dies mit Widerständen verbunden ist. Diese Widerstände liegen in mir selbst und ich bezeichne diese als Hemmungen. Unter ‚Hemmung‘ verstehe ich nicht ein äußeres Ereignis, welches über mich kommt, sondern meinen eigenen Widerstand gegen die Versöhnung. Ich selbst setze der Versöhnung eine Kraft entgegen, welche sie verhindern kann. Ich tue dies nicht ohne Grund, denn die Versöhnung ist nicht einfach und sie verlangt mir viel ab. Nicht immer aber bin ich in der Verfassung, dem adäquat zu begegnen.
Im letzten Teil der Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit haben ich vom Schmerz als Hemmung gesprochen und diesen erläutert. Dies ist leicht nachzuvollziehen, denn niemand erinnert sich gerne an vergangene Schmerzen, Demütigen, Niederlagen auch dann nicht, wenn dies zur Versöhnung notwendig ist. In diesem Teil geht es um eine subtilere Hemmung: unser eigenes Selbstbewusstsein.
Die Notwendigkeit, sich jemanden anderem anzuvertrauen
Gesetzt dem Fall, ich habe nun den Entschluss gefasst, mich dem Schmerz aus der Vergangenheit zu stellen, um ihn zu überwinden und der Mut verlässt mich nicht wieder, so bedarf es noch eines anderen, um den notwendigen Prozess auch durchlaufen zu können: Ich muss mich jemandem anderen anvertrauen. Darin liegt keine geringe Hemmung. Selbst wenn mir die Person vertraut ist, meine Partnerin, mein Freund oder eine mir nahestehende Person, so ist diese doch nicht die Person, welche mir professionell helfen kann. Die Absicht fehlt freilich nicht. Wohl aber die Expertise.
Ich muss mich also einer mir fremden Person anvertrauen und dies ist nicht leicht. Denn dieser andere ist keine mir im Privaten vertraute Person, sondern ein Fremder, der sich mit dieser Thematik professionell befasst: im weitesten Sinne ein Therapeut oder ein Psychiater. Welche Art von Therapie für mich hilfreich ist und welche Form von Therapie dabei vertreten wird, ist in Bezug auf meine Heilung völlig unerheblich. Das Entscheidende ist, an jemanden zu geraten, der sein „Handwerk“ und „Denkwerk“ versteht, und das alleine ist schon nicht einfach, denn es gibt davon nicht sehr viele.
Sich jemanden Fremden anzuvertrauen und das zu offenbaren, was ich im normalen Leben zu vermeiden versuche, ist also vollkommen normal und kein Ausdruck von Hemmung. Ein Ausdruck der Hemmung ist es dagegen zu denken, dass ich für meine Heilung doch keinen Seelenklempner brauche.
‚Schließlich bin ich erwachsen und habe doch auch ansonsten alles bewältigt. Ich bin doch nicht krank! Soll ich etwa die Männer in dem weißen Kittel holen, damit sie mich mitnehmen? Im Grunde bin ich doch gesünder als die alle! Das wäre doch gelacht, wenn ich das nicht alleine hinbekomme‘. So mag man denken. Aber genau dies ist nur Ausdruck der eigenen Hemmung! Oftmals ist es sogar so, dass die Vehemenz, mit der eine Person auf diese Auffassung insistiert unmittelbar auf die Schwere ihres Krankheitszustands schließen lässt. Hier geht es aber gar nicht um Krankheit, sondern um die Versöhnung mit der Vergangenheit und um das Freiwerden zu einem gelingenden Leben. Aburteilende Vorurteile spielen dabei schlicht und ergreifend keine Rolle.
Wir haben ja bereits vorausgesetzt, dass die grundlegende Hemmung, sich überhaupt dem Schmerz aus der Vergangenheit zu stellen, überwunden worden ist1. Wenn ich nun den nächsten Schritt machen will, muss ich mich in professionelle Hände begeben! Allein kann ich das nicht machen! Sich selbst therapieren zu wollen kann damit verglichen werden, eine Operation an sich selbst vollziehen zu wollen, die nur unter Vollnarkose vollzogen werden kann.
Es hilft alles nichts: die narzisstische Kränkung, dies nicht alleine machen zu können; die Angst als psychisch Kranker stigmatisiert zu werden; die Berufung auf die eigene Intelligenz, mit der ich doch schon ganz andere Sachen bewältigt habe: All dies sind Hemmungen, die überwunden werden müssen, wenn die Versöhnung gelingen soll!
Von der psychologischen zur philosophischen Betrachtung
Es gibt aber neben den genannten psychologischen Gründen noch einen tiefer liegenden, einen philosophischen Grund, warum ich die Versöhnung und damit einen entscheidenden Schritt in der Selbsterkenntnis nicht ohne Führung durch einen anderen oder durch etwas anderes vollziehen kann.
Dieser hängt mit der Struktur unseres Selbstbewusstseins zusammen. Wir haben nämlich zu unserem eigenen Selbst keinen direkten Zugang, auch wenn es im Alltag so scheint. Thales von Milet, der erste der Naturphilosophen hat deshalb schon den weisen Spruch formuliert:
„Was ist schwer? Sich selbst erkennen. Und was ist leicht? Jemanden anderem einen Ratschlag geben.“
Jemanden anderen kann ich viel leichter durchschauen und einschätzen und es ist sehr einfach, ihm zu sagen, was er verbessern kann und wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten sollte. Dies ist aber deshalb leicht, weil er jemand anderes ist. Bei mir selbst, in der Betrachtung meiner selbst, ist dies dagegen nicht nur viel schwieriger, sondern sogar unmöglich.
Die genannte Schwierigkeit wird in der alltäglichen Betrachtung maßlos unterschätzt und meistens gar nicht wahrgenommen. Schließlich kann doch jeder über sich nachdenken, sich kritisch hinterfragen und sein Handeln auf gefasste Entschlüsse hin modifizieren. Dies hat aber mit Selbsterkenntnis überhaupt nichts zu tun! Vielmehr handelt es dabei um eine Selbstkonstruktion.
Der Grund dafür ist der Folgende: In jedem Akt der Erkenntnis sind zwei Momente zu unterscheiden: einmal der Gegenstand der Erkenntnis, dasjenige, das erkannt wird und einmal das Subjekt des Erkennens, derjenige, der den Erkenntnisakt vollzieht. Der Gegenstand der Erkenntnis ist das Objekt der Erkenntnis, auf den sich das Subjekt der Erkenntnis erkennend bezieht. Subjekt und Objekt der Erkenntnis sind somit voneinander unterschieden: Das Subjekt der Erkenntnis ist nicht das Objekt der Erkenntnis. Aber sie sind nicht vollständig voneinander getrennt, denn in der Erkenntnis kommen sie zusammen.
Wenn ich beispielsweise einen Baum betrachte, so ist dieser das Objekt meines Erkennens und ich bin das Subjekt des Erkennens. Erkennen ist also die Tätigkeit eines Subjekts an einem Objekt.
Dies ist die Grundstruktur eines jeden Erkennens. Dabei spielt es übrigens überhaupt keine Rolle, ob das Objekt der Erkenntnis richtig erkannt worden ist oder nicht. Auch wenn ich mich als Subjekt der Erkenntnis über das Objekt täusche, z.B. einen Fels für ein Tier halte, bleibt die Struktur zwischen Subjekt und Objekt, ihre Unterschiedenheit und ihr Aufeinanderbezogensein bestehen.
Ob und wie Erkennen überhaupt gelingen kann, wie es dem Subjekt gelingt, die Differenz zum Objekt aufzuheben und es als das zu erkennen, was es ist, soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Innerhalb der Philosophiegeschichte sind diese Fragen auf höchstem Niveau ausführlich diskutiert worden und es würde unseren Rahmen sprengen, darauf näher einzugehen. Nur soviel: Entgegen der heute herrschenden Auffassung, dass Erkenntnis subjektiv und damit nicht objektiv allgemeingültig sein könne, halte ich meine Überzeugung entgegen, dass einzig und allein die objektive Erkenntnis von Bedeutung ist.
Nur weil das Erkennen selbst die Tätigkeit eines Subjekts ist, so folgt darauf nicht, dass auch die Erkenntnisse subjektiv sind oder die Wahrheit überhaupt subjektiv sei. Nur die objektive Wahrheit zählt. Sie zu finden freilich ist schwer, aber die großen Philosophen haben uns gezeigt, wie es geht. Wenn wir wieder lernen, in den Büchern der Weisheit zu lesen, werden wir uns daran wieder erinnern. Die objektive Wahrheit ist übrigens keine Doktrin, die irgendjemand aufgestellt hat und die uns von außen in irgendeiner Form aufoktroyiert werden könnte. Sie ist die metaphysische Ordnung der Wirklichkeit, die sich auch in allem Materiellen wiederfindet: im Kosmos, in der Natur, im Ökosystem, im Menschen, in den menschlichen Beziehungen und in den gelungenen Werken des Menschen. Finden kann man sie aber nur, wenn man ihr dient. Sich dagegen narzisstisch über die Wahrheit zu stellen und sie abzukanzeln ist ein vollkommenes Verkennen der Dimension der Wahrheit, denn niemand kann größer als die Wahrheit sein. Wer sich intensiver mit dieser philosophischen Fragestellung auseinandersetzen möchte, dem darf ich mein Buch Das philosophische Manifest mit Erläuterungen empfehlen. Dort wird der Zusammenhang zwischen Subjekt und Objekt näher beleuchtet.
Hier erwähne ich es nur um zu verdeutlichen, dass es für die Frage der Versöhnung und deren Hemmungen nicht um die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Erkenntnis überhaupt geht, sondern darum zu verstehen, wie die Struktur des Erkennens und des Selbstbewusstseins selbst als Hemmungen fungieren können, wenn man sie nicht hinreichend beachtet.
Erkennen bedeutet also immer, dass sich ein erkennendes Subjekt auf ein zu erkennendes Objekt bezieht. Was vollzieht sich nun bei der Selbsterkenntnis bzw. beim Selbstbewusstsein? Wenn ich mein Erkennen auf mich selbst richte, mich selbst betrachte, passiert einerseits nichts anderes, als bei der Betrachtung eines externen Objekts – allerdings mit dem gewaltigen Unterschied, dass ich dieses Objekt selbst bin! Ich betrachte mich.
Sich selbst betrachten bedeutet damit auf der einen Seite, sich selbst zum Objekt zu machen, sich zu objektivieren. Dies ist etwas, was jeder Mensch wie selbstverständlich kann. So kann ich mich beispielsweise jederzeit fragen, was ich jetzt tun soll, ob es mir gefällt, was ich jetzt tue und anderes. Eine Selbsterkenntnis ist diese Selbstreflexion aber nicht! Denn ich bin ja auf der anderen Seite nicht nur das Objekt der Betrachtung, sondern zugleich das Subjekt der Betrachtung. Ich bin es ja, der sich betrachtet. Das Objekt der Betrachtung, mich, kann ich wohl sehen, aber das Subjekt der Betrachtung, mich, bekomme ich dadurch nicht in den Blick. Eben dieses gehört aber wesentlich zu mir. Wenn ich mich mit dem Objekt des Erkennens gleichsetze, bleibt der andere Bereich, das Subjekt des Erkennens vollständig außen vor. Somit können wir uns als Subjekt des Erkennens nicht selbst erkennen. Es ist wie mit dem Auge, das alles sieht, nur nicht sich selbst.
Und wenn ich nun dieses Subjekt des Erkennens selbst zum Gegenstand der Erkenntnis machen würde? Könnte ich mich auf dieses Weise nicht selbst erkennen? Nein, auch das ist nicht möglich. Denn dann würde ich das Subjekt des Erkennens zum Objekt des Erkennens machen und dieses selbst wieder als das Subjekt des Erkennens betrachten, welches wiederum nicht mit in den Blick kommt. Dasselbe würde auch gelten, wenn ich versuchte beides – Subjekt und Objekt – zusammen zu betrachten und meinte, damit das Ganze im Blick zu haben. Denn dann wäre eben dieses das Objekt der Betrachtung, welches ich wiederum als Subjekt des Erkennens von außen betrachte. Dieser Prozess iteriert und wiederholt sich somit auf der jeweiligen nächsten Stufe. Auf diese Weise geraten wir in den Regress ad infinitum, aber wir kommen nicht zu einer wahrhaften Selbsterkenntnis.
Genau dies ist der Grund, warum Selbsterkenntnis so schwierig ist. Indem wir uns selbst betrachten, betrachten wir uns von außen. Wir machen uns so ein Bild von uns selbst. Aber egal, was für ein Bild wir uns von uns selbst machen: Das sind wir nicht. Das Bild verstellt den Blick auf unser wahres Selbst, das nicht auf dieselbe Weise erkannt werden kann. Sich selbst aber mit dem Bild, das wir von uns geschaffen haben, zu verwechseln, heißt sich selbst zu verkennen. Das Bild ist unser Geschöpf, aber wir als Schöpfer kommen für uns selbst darin nicht vor.
Für die Selbsterkenntnis brauche ich daher einen Begleiter, der mir den Weg zu mir selbst so zeigt, dass ich mich als die Einheit aus Schöpfung und Schöpfer begreife und mein wahres Wesen erkenne. Dies gilt ganz besonders für die philosophische Ebene, wenn es um das Begreifen der tiefen Dimension des Menschseins geht.
Es gilt aber auch für die psychologische Betrachtung, in welcher ich einen professionellen Begleiter brauche, der mir auch den Schöpfer des Bildes spiegelt. Besonders deutlich wird dies im pathologischen Bereich. Denn jemand, der z. B. Wahnvorstellungen hat, hat ja selbst nicht den Eindruck, diese zu produzieren, sondern er glaubt, dass es auch so ist. Die Erklärung, die er sich selbst dafür geben mag, kann komplett stringent und überzeugend sein. Sie entspricht nur überhaupt nicht der Wahrheit. Würde man diese Person fragen: „Wissen Sie, was Sie da machen?“, so könnte die betreffende Person mit voller Überzeugung antworten: „Ich mache da überhaupt nichts. Ich sage Ihnen nur, wie es ist“.
Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern, welches ich Rahmen meiner akademischen Tätigkeit selbst erlebt habe. In meinem Büro war auch ein Schreibtisch für die Lehrbeauftragten, welcher aber eigentlich nur von einer Kollegin genützt wurde. Eines Tages kam die Kollegin auf mich zu und meinte, sie könne in dem Büro nicht mehr arbeiten, da es so bestialisch stinke. Ein Marder müsse in der Zwischendecke sein. Nun war ich sehr häufig in meinem Büro und habe weder etwas gehört noch gerochen. Doch, doch, meinte sie, es müsse sich um einen Marder handeln. Also habe ich den Hausmeister gebeten, doch bitte einmal nachzusehen. Wie an der Universität üblich, kam dieser nach drei Wochen auch und hat nachgesehen. Das Ergebnis: Keinerlei spuren eines Marders. Dies teilte ich meiner Kollegin mit. Sie aber meinte, dass es inzwischen sogar noch schlimmer geworden sei. Der Marder säße an der Decke im Eck und würde sie anstarren. Er täte dies, um zu verhindern, dass sie ihre Arbeit beenden könne, weil diese für die Welt wichtig wäre.
Nachdem ich schon bei der ersten Erwähnung mir sicher war, dass dies alles nur eine Wahnvorstellung wäre, war ich mir dessen jetzt ganz gewiss. Siegessicher, im naiven Glauben, diese Wahnvorstellung mit links widerlegen zu können, meinte ich, dass dies doch gar nicht sein könne, da ich ja ständig hier wäre und noch nie einen Marder gesehen hätte. Darauf erwiderte sie ohne mit der Wimper zu zucken: „Doch, der Marder ist hier. Allerdings ist er unsichtbar und nur ich kann ihn sehen“.
Jetzt überlegen Sie bitte einmal selbst, wie Sie das widerlegen können. Denn wenn es so wäre, dass es einen unsichtbaren Marder geben würde, welcher die Aufgabe hätte, die Fertigstellung ihrer Arbeit zu verhindern, dann könnte ich diesen natürlich auch nicht sehen. Die Argumentation ist vollkommen schlüssig. Faktisch ist sie aber Ausdruck einer Wahnvorstellung, welche von der Person nicht als eine solche wahrgenommen werden kann. Würde sich diese Frau einem Psychiater anvertrauen, könnte er ihr helfen, diesen Zirkel im Denken zu durchbrechen. Alleine kann sie es nicht.
Im Pathologischen verdichtet sich also die Problematik, die wir generell bei der Selbsterkenntnis haben: das hermetische Abgeschlossensein und der zirkuläre Selbstbezug.
Um dem zu entkommen, brauche ich einen professionellen externen Begleiter, der mir hilft, diesen Zirkel zu lösen. Für den psychologischen Prozess bedeutet dies eine Begleitung, die mir hilft, den verdrängten Teil zu erkennen und annehmen zu lernen. Damit wird zugleich der Schöpfer meines Selbstbildes mit in den Blick genommen und ich kann mich nach und nach darin erkennen.
Dies bedeute beispielsweise bei einer Suchterkrankung einen professionellen Blick, welche mir meine Krankheit vor Augen führt. Jemand der mir klar spiegelt, dass ich erkrankt bin. Dasselbe gilt für die Depression oder für Persönlichkeitsstörungen. Denn in all diesen Fällen ist es gut möglich, dass die erkrankte Person für sich selbst eine Reihe von Erklärungen bereithält, mit welchen sie ihre eigene Erkrankung relativiert. Der erkrankte Mensch kann sich selbst durchaus für gesund halten und statt dessen sein Umfeld als krank ansehen. Genau dies ist das Ergebnis des Zirkels in der Selbstbetrachtung. Begibt er sich dagegen in Behandlung, wird ihm bewusst werden, dass sein falsches Selbstbild bereits Ausdruck seiner Erkrankung ist.
Für den philosophischen Prozess bedeutet die Notwendigkeit des Sich- Anvertrauens aber noch mehr: Denn für diesen braucht es eine Begleitung auf dem Weg zum wahren Menschsein. Jemand, der mir hilft, den inneren Menschen in mir, mein wahres Selbst, zu erkennen und der mir auf diese Weise den Ausweg aus der platonischen Höhle zeigen kann. Dies kann aber nur jemand, der diesen Weg selbst gegangen ist und davon gibt es nicht viele.
In beiden Fällen muss ich die Hemmung, mich jemanden anvertrauen, überwinden, um mich so selbst erkennen und mich mit der Vergangenheit versöhnen zu können.
Kategorien: Philosophie der psychischen Gesundheit