Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit 2/10

Die Bedeutung unserer Gefühle für ein erfülltes Leben

von Dr. Gerhard Hofweber

Die Beiträge zur Philosophie der psychischen Gesundheit reflektieren unser Gefühlsleben, seine Störungen und seine Ordnung aus einer philosophischen Perspektive heraus. Die philosophische Betrachtung eröffnet neue Blickwinkel, lädt uns ein, bekannte Dinge neu zu betrachten und somit uns und die Welt neu kennen zu lernen.
Sie kann einen therapeutischen Prozess nicht ersetzen, aber sehr wohl unterstützen und damit sehr hilfreich für Ihren individuellen Erkenntnis- und Genesungsprozess sein.

Die geistigen Gefühle

Nachdem im ersten Teil die Tiefendimension unserer Gefühle und ihre Bedeutung für ein erfülltes Leben dargestellt worden ist, kommen wir nun zur tiefsten und an sich wichtigsten Ebene – eine Ebene, welche vor allem in der Philosophie behandelt wird. Wir finden Sie im Abendland genau so, wie in der asiatischen Philosophie.

Diese letzte und tiefste Ebene unserer Gefühlswelt nennt Max Scheler die geistigen Gefühle. Sie beziehen sich auf das Grundlegendste unserer Existenz und sie gehen über unsere Individualität hinaus. Hier berühren wir

den wahren Kern unseres Seins, die tiefe Bedeutung der Menschlichkeit, die wir alle in uns tragen. In diesem Punkt würde ich jedoch den Inhalt dieser Ebene abweichend zu Scheler anders bestimmen. Auf dieser Ebene gibt es nämlich keine negativen Gefühle mehr. Sie ist bestimmt von reiner Positivität. Dies ist gleichbedeutend mit der reinen Wirklichkeit. Im Materiellen gibt es keine reine Wirklichkeit, sondern Wechselwirkungen. Alles, was auf etwas wirkt, erfährt auch eine Gegenwirkung. Wenn ich etwa einen Tisch verschieben möchte, setzt er mir seine Schwere und die Reibung als Widerstand entgegen und ich spüre das auch durch den Druck an meinen Händen. Die reine Wirklichkeit ist aber diejenige Wirklichkeit, die ausschließlich wirkt, ohne dass sie selbst eine Gegenwirkung erfährt. Das ist nur im Geistigen der Fall.

In sämtlichen Philosophien der Welt wird der Geist
als die reine Wirklichkeit verstanden.
Jeder Mensch hat diese Dimension in sich
und auch viele große Psychologen
haben sich auf diese bezogen.

Damit dies nicht zu abstrakt klingt, möchte ich es an einem Beispiel verdeutlichen. Wenn ich einen bestimmten Gedanken fasse, der mich zum Handeln motiviert, so kann dies in meinem Leben eine große Rolle spielen. Ich kann mir z. B. zum Ziel setzen, ein guter Vater zu sein, Karriere zu machen oder die Welt zu bereisen. Dieser Gedanke hat dann auf mein Leben einen großen Einfluss und er bewirkt viele Veränderungen in meinem Leben.

Umgekehrt hat aber mein Handeln keinen Einfluss auf den Gedanken.

Er bleibt derselbe, egal wie ich handle. Jemand anderes kann denselben Gedanken fassen und sich von ihm motivieren lassen und auch dies verändert den Gedanken nicht. Das ist die Ebene des Geistes und des Gedankens – genauer müsste man sagen: derjenigen Gedanken, die wahr

sind. Denn in der innersten Ebene unseres Gefühlslebens haben nur die Wahrheit und die Liebe Platz. Tiefer geht es nicht mehr. Hier haben wir den Kern erreicht.

Die Lehren der großen Philosophen
und der großen Religionen berichten
von unserem Kern als
ein Konglomerat aus Liebe und Wahrheit.

Ob wir glücklich und erfüllt leben oder nicht,
hängt demnach wesentlich davon ab,
ob es uns gelingt, nahe an unserem Kern
zu sein und diesem gemäß zu leben.

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Glück ist also keineswegs eine Aneinanderreihung angenehmer Erlebnisse. Genauso wenig wäre Unglück eine Aneinanderreihung von unangenehmen Erlebnissen. Ersteres ist schlicht angenehm, zweiteres unangenehm. Nicht mehr und nicht weniger. Weder können wir durch angenehme Erlebnisse glücklich, noch durch unangenehme Erlebnisse unglücklich werden.

Subjektiv kann ich zwar der Meinung sein, dass mein Leben gescheitert ist, weil mir mein Handy auf dem Boden oder mein Auto am Baum zerschellt ist, aber das beweist nur, wie weit diese Person von der Wahrheit und von sich selbst entfernt ist. Dies bedeutet auch, dass die auf maximales Wachstum ausgerichtete Konsumgesellschaft nicht auf das Glück bezogen ist.

Produziert werden Gegenstände oder Erlebnisse, die ich kaufen kann. Dies kann sich aber nur auf der Ebene des Angenehmen oder Unangenehmen abspielen. Nur die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen lassen sich ja produzieren. Glück ist aber nicht herstellbar. Dementsprechend hat derjenige, der sich um das Glück bemüht nur ein relatives Interesse an Gegenständen. Wenn man das Kaufen, das nicht dem Überleben dient, als

eine Ersatzhandlung ansieht, welche den Mangel an Glück im Inneren ersetzen soll, dann kann man sagen, dass die Kauflust in dem Maße abnimmt, indem mein Inneres erfüllt ist. Es gibt dann Wichtigeres für mich, als Produkte, die angenehm sind. Eine glückliche Gesellschaft kann keine Konsumgesellschaft sein. Daraus folgt, dass die Treiber einer Konsumgesellschaft kein Interesse an einer glücklichen Gesellschaft haben. Im Umkehrschluss bedeutet dies übrigens nicht, dass Konsumverzicht und -verweigerung in irgendeiner Weise zum Glück führen. Denn dann wäre das Glück ja wieder in Relation zu einem Außen gedacht.

Glück kann grundsätzlich nicht
von außen verursacht werden.
Glück kann nur aus unserem Inneren
heraus begriffen und erlebt werden.

Denn entscheidend ist ja gar nicht das Äußere, sondern wie ich es selbst in mein eigenes Innen versenke und erlebe. Ein und dieselbe Sache kann ja ganz anders erlebt und begriffen werden. Was für den einen schrecklich ist, kann der andere gelassen aufnehmen. Dazu braucht es aber eine innere Stabilität, um von dem Auf und Ab des Lebens nicht aus der Bahn geworfen zu werden. Innere Stabilität bedeutet aber Nähe zum eigenen Kern und zu meinem wahren Selbst.

In einem psychologischen Sinn bedeutet dies, mir meines Selbstwerts, meiner Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit bewusst zu werden.

Falls ich den Bezug dazu verloren habe, ist es unerlässlich, sich professionelle Hilfe zu suchen. Der Weg aus der Depression gelingt dem an Depression Erkrankten nicht mehr allein. Dazu braucht er psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe von Fachleuten und Ärzten.

In einem philosophischen Sinn ist es die Nähe zur metaphysischen Dimension meines Menschseins, welche mir Halt gibt und es mir erlaubt, von innen heraus erfüllt zu leben. Diese Erfahrung setzt aber eine psychische Gesundheit voraus. Diese wieder herzustellen ist dem Philosophen nicht möglich, sondern vielmehr dem Psychiater oder Therapeuten.

Die äußeren Umstände können als angenehm oder unangenehm angesehen werden. Ich brauche mich ihnen nicht zu verweigern, denn das Angenehme ist ja per se angenehmer als das Unangenehme. Aber ich brauche auf dieser Ebene auch keine Relation zum Glück suchen.

Erfülltes Leben bedeutet
im inneren Kern meines Daseins zu wohnen.

Mein Glück ist demnach von dem Maße abhängig, in welchem es mir gelingt, mir selbst nahe zu sein. Mit sich selbst befreundet zu sein und sich selbst zu lieben: Das ist Glück. Mit dieser Selbstliebe ist aber gerade nicht das gemeint, was heute in unserer Gesellschaft darunter verstanden wird. Die wahre Selbstliebe wird heure nämlich mit der narzisstischen Selbstliebe verwechselt. Die narzisstische Selbstliebe orientiert sich an dem, was wir nach außen darstellen. Dazu zählt das Aussehen, meine Leistungsfähigkeit, mein Erfolg und vieles andere mehr. Da es in diesen Bereichen aber keine bestimmbare Grenze gibt, unterliegt dieser ganze Bereich der Maximierung. Dies hat zur Folge, dass man unter dieser Betrachtung niemals reich, schlank oder erfolgreich genug sein kann. Allein daraus folgt aber schon, dass die narzisstische Selbstliebe immer unbefriedigt bleiben muss. Das starke Bemühen, nach diesem Maßstab perfekt sein zu wollen und dabei doch immer unbefriedigt zu sein, führt nicht selten in die Depression oder den Burnout. Die einen wollen nicht mehr, die anderen können nicht mehr. Trotz aller Anstrengung ist das Resultat der narzisstischen Selbstliebe die innere Leere.

Der sinnlose Versuch durch Leistung
und Anstrengung liebenswert zu sein,
führt nicht selten in die Depression oder den Burnout.

Tatsächlich stellt die narzisstische Selbstliebe nur eine Art Ersatzliebe dar, weil das Innerste und Wertvollste in uns und durch sie weder erkannt noch berührt wird. Was den Menschen einzigartig, liebenswert und zu etwas absolut Wertvollem macht, ist nicht das Äußere, sondern gerade das Innere. Dies ist aber bei allen im innersten Kern gleich. Es ist das Menschsein als Menschsein überhaupt. Das, was uns zu etwas Besonderen macht, ist gerade das Allgemeine.

Das Besondere an uns, ist gerade das Allgemeine.
Das, was uns zu etwas besonderem macht,
ist das Menschsein, nicht unsere Individualität.
Erkenne Dich selbst!

Der Wert des Menschen liegt in seinem Menschsein, nicht in seiner Leistung. Daher bezieht sich die Selbstliebe desjenigen, der dies begriffen hat, nicht auf seine Individualität und seine Vorzüge, sondern auf seinen inneren Kern als Mensch. Der innere Kern ist im Laufe der Philosophiegeschichte mit vielen Begriffen gefasst worden: Das wahre Selbst, der innere Mensch, das Seelenfünklein sind nur einige davon. Der große deutsche Philosoph Immanuel Kant nennt ihn unser „intelligibles Wesen“. Der berühmte Imperativ, welcher in der Antike über dem delphischen Orakel eingraviert war, lautete: ‚Erkenne dich selbst!‘ Damit ist aber gemeint: Erkenne den inneren Kern in dir! Begreife, wer du wirklich bist! Erkenne dein wahres Selbst!

Unser innerer Kern ist unser wahres Selbst.
Dies zu erkennen, war schon immer
der Anspruch der Philosophie.

Der Neuplatoniker Boethius hat in seinem Werk Trost der Philosophie genau dieses anhand eines zu Unrecht zu Tode Verurteilten geschildert. Mit der Ungerechtigkeit des Schicksals hadernd erscheint ihm in der Todeszelle die Philosophie in Gestalt einer Frau, die jung und alt zugleich zu sein scheint.

Sie verwickelt ihn in ein Gespräch und fragt ihn nach dem Grund seines Leidens. Im Laufe des Gespräches erkennt die Philosophie den wahren Grund für das Leiden dieses Menschen: Er hat vergessen was es heißt, ein Mensch zu sein. Die Lösung für ihn liegt also genau darin, sich wieder zu erinnern was es heißt, ein Mensch zu sein. Boethius stellt dies so dar, dass er zusammen mit dem Verurteilten den Aufstieg der Erkenntnis vollzieht, welcher ihn schließlich zur metaphysischen Natur des Menschen führt.

Die Metapher des Aufstiegs ist an Platons Höhlengleichnis orientiert.

Erinnere Dich daran, wer Du in Wahrheit bist!

Platon beschreibt den Weg der Erkenntnis als einen Aufstieg aus der Höhle, in welcher der Mensch sich befindet. In dieser Höhle kann er aber nur Schatten und nicht das wahre Wesen der Dinge erkennen. Wenn ihn aber jemand nach oben begleiten und er den mühevollen Aufstieg durchhalten würde, zeigte sich ihm das wahre Wesen der Dinge in ihrer ganzen

Schönheit. Für das erfüllte Leben bedeutet dies, dass er den Menschen in seinem wahren Wesen, seinem inneren Kern, in seiner ganzen Schönheit erblickt.

Man kann die Metapher aber auch umdrehen und den Weg der Erkenntnis als den Weg nach Innen verstehen. Dieses Bild hilft uns hier vielleicht besser weiter. Denn wenn wir von Kern und Oberfläche sprechen, zeigt sich die Wahrheit im Inneren. Wenn wir uns eine Kugel vorstellen, dann ist das sichtbare daran die Oberfläche. Diese kann relativ groß sein, wenn wir z.B. an den Erdball denken. Jeder Mensch steht an irgendeinem Punkt auf der Oberfläche und somit befindet sich jeder Mensch in der Tat woanders. Jeder Mensch muss den Weg der Erkenntnis von dem Punkt ausgehen, an dem er sich befindet. Insofern ist der Ausgangspunkt für jeden einzelnen Menschen individuell und unterschiedlich. Die Kugel aber hat nur einen einzigen Mittelpunkt. Der Weg der Erkenntnis ist aber nichts anderes als der Weg von der Oberfläche hin zu diesem Mittelpunkt. Dies bedeutet, dass zwar jeder Mensch sich von einem anderen Ausgangspunkt hin zu dem Mittelpunkt bewegt, aber die Richtung ist dieselbe. Alle Menschen, welche sich auf den Weg der Erkenntnis machen, schlagen dieselbe Richtung ein, ganz egal, von wo sie kommen und welches ihr Ausgangspunkt ist. Dies ist der Weg zu sich selbst und zu dem inneren Kern.

Der Weg der Erkenntnis ist für jeden Menschen
ein anderer, aber die Richtung ist immer die gleiche: hin zur Mitte.

Anders als in der narzisstischen Selbstliebe oder der wirtschaftlichen Maximierung gibt es hier eine eindeutige Grenze: den Mittelpunkt. Ist dieser erreicht, ist das Ziel auch erfüllt. Es kann nicht dadurch besser werden, dass man in derselben Richtung weitergeht, weil man sich dann von dem Mittelpunkt wieder entfernen würde. Wer den Mittelpunkt erreicht, ist angekommen. Dies ist genau der Sinn des Ausdrucks, bei sich selbst angekommen zu sein. Wer bei sich angekommen ist, geht nicht mehr weg. Denn wohin sollte er dann noch wollen? Bei sich angekommen zu sein, seinen inneren Kern erkannt und berührt zu haben: Was könnte der Mensch mehr erreichen? Dies ist das Ziel seines Daseins und die Erfüllung seiner Sehnsucht.

Die wahre Selbstliebe bezieht sich also auf unser wahres Selbst. Dies ist der beste und wertvollste Teil in uns, unser wahres Wesen. Wer sich aber um seines Menschseins willen liebt, der ist auch bemüht darum, sein Menschsein zu verwirklichen.

Wenn wir unser wahres Selbst erkennen,
haben wir eine starke Waffe im
Kampf gegen die Depression auf unserer Seite.

Wir nehmen Sie als Mensch in Ihrer Gesamtheit wahr und entwickeln mit Ihnen gemeinsam einen individuellen Behandlungsplan, der auf Ihre Bedürfnisse abgestimmt ist. Nur so kann ein nachhaltiger Therapieerfolg erzielt werden, der Sie auch noch im Alltag begleitet.

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Die Verwirklichung unseres Menschseins besteht in einem Leben entsprechend unserem inneren Kern. Dieser ist es, der uns zum Menschen macht. Er bestimmt unseren Wert und unsere Würde. Da in unserem Kern aber nur noch Wahrheit und Liebe zu finden sind, verwirklichen wir ihn dann, wenn wir ein Leben in Wahrheit und Liebe führen in dem Maße, in dem es uns möglich ist. Das ist nicht nur der Weg zum Glück. Das ist Glück. Es ist demnach nicht möglich, den tiefen Kern in sich verwirklichen zu wollen und nicht zugleich schön und gut handeln zu wollen. Das mag nicht immer gelingen. Dann sind aber Reue und Scham die Folge und der Wunsch, ein besserer Mensch werden zu wollen, als man es im Moment ist, wird stark.

Dies ist aber nicht dasselbe wie die heute so verbreitete Art, sich selbst gnadenlos zu richten und sich damit selbst zu verachten. Das Verurteilen seiner selbst gründet in einem mangelnden Selbstwert, den man im Laufe seines Lebens erfahren hat. Die Verurteilung bestätigt diesen nur. ‚Da siehst du es wieder einmal: Nichts kannst du richtig machen. Du bist einfach nichts wert.‘ Das ist die negative Prägung, die viele erlebt haben und welche viel Schaden anrichtet.

Die echte Selbstliebe ist frei von
Prägungen und negativen Einflüssen.

Wer sich selbst in der richtigen Weise liebt, weiß, dass es bei allem Bemühen um das Richtige nicht immer einfach ist, das Richtige auch zu tun. Er gibt sein Bestes und mehr kann er auch nicht geben. Wenn es nicht gelingt bereut er zwar, aber er blickt milde auf sich. Dies ist vergleichbar mit der Hinwendung zu einem kleinen Kind, das zu schnell gelaufen und deshalb hingefallen ist und sich die Knie aufgeschlagen hat. Jetzt kann ich es entweder ausschimpfen und ihm sagen, es sei doch selber schuld, man hätte ihm doch gesagt, dass es nicht so schnell laufen solle, aber es hätte halt nicht gehört. Oder ich kann mich zu ihm hinunterbeugen, es hochnehmen, an mich drücken und es trösten. Ich kann ihm sagen, dass dies nicht so schlimm sei, dass es schon wieder wird und dass selbst die schnellsten Läufer schon hingefallen sind. Dann kann ich es noch ermutigen, es doch noch einmal zu versuchen und falls es wieder fallen sollte, würde ich es wieder trösten.

Der milde Blick auf uns selbst ist frei
von der Verurteilung unserer Selbst.
Der milde Blick auf uns selbst,
hat eine heilende Kraft.

Wenn wir diesen liebevollen Blick auf uns selbst richten und uns so behandeln können, werden wir unserem Menschsein gerecht. Wir behandeln uns als etwas Zartes und Wertvolles und das sind wir auch. Die Sprache und Geste der Liebe ist sanft und verzeihend. Wer sich selbst im echten Sinne liebt, geht auf diese Weise mit sich um.

Wenn wir das Glück aus dieser philosophischen Perspektive in seinem Wesen betrachten, so zeigt sich, wie weit das heute normale Verständnis des Glücks davon entfernt ist. Die philosophische Betrachtung öffnet uns einen ganz neuen Blick: Glück ist kein Zustand, sondern ein Handeln. Glück ist nichts Momenthaftes, sondern etwas Dauerhaftes. Glück ist kein Gefühl, sondern eine von einem Gefühl begleitete Erkenntnis. Glück ist nichts Herstellbares, sondern ein Geschenk. Glück ist nicht von außen verursacht, sondern es entsteht von innen aus reiner Spontaneität. Glück ist kein Gefäß, das gefüllt werden muss, sondern eine Quelle, die unablässig von innen sprudelt, wenn es mir gelingt, sie zu erschließen.

Die Erkenntnis unseres wahren Selbst
kann den therapeutischen Prozess unterstützen
– ersetzen kann es ihn nicht.

Welche Bedeutung haben nun diese Idee von Glück und von unserem wahren Selbst für unsere psychische Gesundheit und den therapeutischen Prozess?

Wer psychisch erkrankt ist, benötigt professionelle psychiatrische oder therapeutische Hilfe. Dadurch, dass auf der Ich-Ebene unserer Gefühle eine Störung vorliegt, muss diese auch auf dieser Ebene behandelt werden (vgl. hierzu Teil 1 dieser Abhandlung). Ohne die Heilung auf der Ich-Ebene ist es normalerweise auch nicht möglich, die tiefe Dimension unserer Selbst-Ebene zu erfahren. Es ist zwar nicht grundsätzlich unmöglich, denn es gibt immer wieder Berichte von Menschen, welche ihre psychische Erkrankungen heilen konnten, indem sie direkt in Kontakt mit ihrem wahren Selbst gekommen sind – aber dies sind nur einzelne und sehr wenige Fälle. Selbst der psychisch gesunde Mensch kann ohne Beziehung zu seinem wahren Selbst leben und dementsprechend nicht den vollen Begriff des Glücks erreichen. Für den psychisch Erkrankten ist dies aber viel schwieriger, weil er deutlich weiter von seinem wahren Selbst entfernt ist. Für ihn ist der psychotherapeutische Weg der richtige.

Der absolute Wert meines wahren Selbsts strahlt
wie das Licht eines Leuchtturms und hilft mir dabei,
den Weg zu mir zurück zu finden und
damit wieder gesund zu werden.

Aber auch, wenn für den psychisch Erkrankten die Erfahrung seines wahren Selbsts kaum möglich ist, so kann es dennoch wichtig für seine Genesung sein, davon zu wissen. Denn wenn ich die Idee annehmen kann, dass es einen Teil in mir gibt, welcher gesund und heil ist, welcher nicht anders sein kann und niemals anders werden kann, weil er unabhängig von meiner Prägung und persönlichen Geschichte besteht, und wenn ich mir vorstellen kann, dass mein wahres Selbst darauf wartet, von mir angenommen zu werden, ohne dass ich mich beeilen muss, dann kann dies sehr positiv für meinen Genesungsprozess sein. Das gleiche gilt für die Idee, dass ich selbst einen absoluten Wert in mir habe, welcher vollkommen unabhängig von Leistung, Alter, Aussehen, Erfolg ist. Dieser absolute Wert strahlt wie das Licht eines Leuchtturms und hilft mir dabei, den Weg zu mir selbst zu finden.

Diese kurzen Erläuterungen zum Begriff des Glücks und des erfüllten Lebens müssen an dieser Stelle genügen. Den Glücksbegriff weiter zu erläutern, würde den Rahmen sprengen. Die Idee des Glücks als Nähe zu unserem inneren Kern und damit zur Wahrheit und zur Liebe sollte aber deutlich geworden sein. In den folgenden philosophischen Beiträgen zur psychischen Gesundheit möchte ich zeigen, wie essentiell wichtig die Versöhnung mit der Vergangenheit für ein glückliches Leben in dem genannten Sinne ist.

Quellenangaben
  • Platon, sämtliche Werke, hrsg. v. B. König, Bd. 2: Politeia, Reinbeck bei
    Hamburg 2007
  • Boetius: Trost der Philosophie, Frankfurt am Main / Leipzig 1997
  • Immanuel Kant, Werke in zwölf Bänden, hrsg. v. W. Weischedel, Bd. 7: Kritik
    der praktischen Vernunft, Frankfurt am Main 1989
  • Max Scheler: Der Formalismus in der Ethik und die materiale Werteethik,
    Bern 1966
Dr. Gerhard Hofweber
Philosoph und Autor Dr. Gerhard Hofweber
Dr. Gerhard Hofweber ist Philosoph und Autor. Seine Schwerpunkte liegen auf den Themen Metaphysik, psychische Gesundheit und sinnerfülltem Leben. Seit über 25 Jahren begleitet Dr. Hofweber Menschen in essentiellen Lebenssituation und existenziellen Lebensfragen. Sein vielseitiges Schaffen bildet sich auch in seinen Büchern ab.